Free your mind? - subjektive Mindmap Kritik

Dieser Tage, im größten Stress, habe ich beschlossen, für den Redesign Prozess meines Sharepoint Projekts Mindmaps einzusetzen. Gründe dafür gab es mehrere.

Nach 14 Tagen intensiver und konsequenter Arbeit eine subjektive Kritik, vor allem ein paar Überlegungen zum Mapping meiner Denke und Mindmaps.

Die Entscheidung für Mindmaps fiel aus verschiedenen Gründen:

  • mein eigener Wunsch, mich einen solch strukturierten System zu “unterwerfen”
  • eine einheitliche Kommunikationsbasis inklusive der Vermeidung vieler Telefonnotizen
  • ein Mittel zum kollaborativen Arbeiten mit dem Kunden
  • ein Tool, das hilft den Überblick zu behalten, Zusammenhänge sichtbar zu machen und möglichst keinen Aspekt dieses komplexen Systems zu übersehen

Es begann damit, dass ich es toll fand und richtig begeistert war. Endlich, so hatte ich den Eindruck, hatte ich mich selbst dazu gezwungen, ein Tool einzusetzen, das mich zu klarem Arbeiten zwingt. Wir hatten uns übrigens für Mindmanager entschieden, sicherlich eines der führenden Werkzeuge dieser Art. Nach einigen Tagen jedoch konnte ich mich selbst dabei beobachten, wie ich immer unzufriedener wurde, das Internet nach Fragen auf eine ganze Reihe von Antworten durchforstete, während die Anzahl meiner miteinander verknüpften Mindmaps immer größer und größer wurde, eigentlich alles gleich aussah und ich eigentlich immer noch an der Oberfläche kratzte.

Brainstorming oder wie weit kann eine Mindmap?

Objekte und Hierarchie

Es war sehr einfach, typische “objektorientierte” Beziehungen zwischen beteiligten Objekten herzustellen. Da es sich um einen Redesign Prozess handelt, waren die Objekte bekannt und deren Beziehungen oder Vererbung ebenso.
“… has a …” oder “… is part of …”, “… contains… ” sind hierarchische Beziehungen, die sich klassischerweise sehr schön über eine Mindmap darstellen lassen. Hier hilft eine (vernetzte?) Mindmap auch weiter, Objekte zunächst zu identifizieren, das gesamte System also auf Vollständigkeit hin zu überprüfen. Dies führt zunächst zu einem typischen Mindmap Netz, noch ohne Verbindungen.
Klassisches Beispiel: die Website Struktur.

Damit war ich natürlich nicht fertig: die Portalstruktur hier nur ein Bruchteil der Anforderungen. Wichtiger: Nutzung von Sharepoint Listen, Zugriff auf global definierte Spalten zum Nachschlagen von Feldern, Zusammenspiel Sharepoint/Infopath und schließlich eine Abbildung von Abläufen, also den internen Workflows.

andere semantische Beziehungen

Verbindungen stellen weitere semantische Beziehungen zwischen Objekten dar, die über das hierarchische Konzept hinausgehen. Was ich beispielsweise benötigt hätte wären “… folgt aus …”, “… benötigt …”, “… greift zu auf …” etc. Eine Vorab Definition der Semantik ist in der von mir gewünschten Form leider nicht möglich, dies kann ich selbst durch Farben, Formen und Anmerkungen definieren - mit dem Ergebnis, dass meine Maps bunter und bunter, aber nicht unbedingt übersichtlicher wurden. Was mir grundsätzlich fehlt ist speziell in meinem Problem, noch etwas detaillierter auf Variablen eingehen zu können. Was übergebe ich an wen, gibt es Rückgabewerte und so weiter. Hier denke ich schon viel zu sehr programmiert.

Da ich außerdem dazu übergegangen war, Maps aufgrund ihrer Masse und Komplexität schnell zu teilen beziehungsweise grobere und feinere Maps zu erstellen, die aufeinander referenzieren, eine ziemlich unbefriedigende Lösung. Zwar entstanden so eine Reihe von Maps, die man samt Erweiterungen noch sehr gut ausdrucken kann (was ich auch für wichtig erachte, denn ich bin dann doch manchmal noch Papiertiger), andererseits wären genau die Verbindungen nicht mehr richtig ersichtlich.

Eine Frage, die sich mir irgendwann zwangsläufig stellte, war eine allgemeingültige Beschreibung der Semantik von Zweigverbindungen vs. “normale Verbindungen”. F1 hier genauso unbefriedigend wie Google. Viele Treffer beschäftigen sich mit der Frage Mindmap und semantisches Netz … ich merke, dass ich hier schon “neuronaler” denke.

Bunte Bildchen

Das nächste waren meine Workflow Überlegungen: was passiert der Reihe nach. Ein Glück, dass es die ganzen hübschen kleinen Icons gibt, die allerdings leider oft vorbelegt sind. 1-2-3-4-5 heißt hier Priorität. Für mich steht hinter dem Begriff Priorität mehr als eine Ordnung, genauergesagt etwas anderes als eine Ordnung, nämlich eine wünscheswerte Ordnung, jedoch nichts zwingend erforderliches. Eher so etwas wie eine sinnvolle Ordnung, deren Gesetze jedoch ebenfalls einer Definition bedürfen. Leider gibt es innerhalb des Mindmanagers keine andere, parallele Ordnung, die nicht semantisch vorbelegt wäre.

Viele andere bunte Bildchen fehlen hingegen, beispielsweise: “dies ist ein Objekt vom Typ… ” (Dokument, Bild, Datei, Liste…). Sicherlich kann man das anpassen, wenn nötig. Mir jedenfalls auf den ersten Blick zu “aufgabenorientiert”.

Entweder, oder?

Wirklich unzufrieden machte mich dann während meiner Workflow Arbeiten, dass Mindmaps zumindest auf den ersten Blick keine Alternativen vorsehen. Gerade wenn es um Workflows, also Arbeitsabläufe , aber auch wenn es ums Brainstorming hinsichtlich technischer Machbarkeit geht, stolpert man zwangsläufig über Weggabelungen und was “was passiert, wenn”. Ja, klar, was ich an der Stelle suche, ist ein Flowcharter. Ich finde aber, es ist bereits und gerade bei Brainstorming nötig, Alternativen zu fixieren, kenntlich zu machen und auch zu überdenken.

Mindmaps können auch das abbilden. Irgendwie zumindest. Ich habe nach einige Googlen, einem interessanten Link über und einer Menge Nachdenken ein Konzept gefunden, Unterzweige und Verbindungen so zu “missbrauchen”, dass Mindmap Elemente zumindest so aussehen, als wären sie Verzweigungen und Alternativen. Zufrieden macht mich das nach meinen bisherigen Überlegungen und meinem eigenen zu den einzelnen Konzepten des Programms absolut nicht.

Kritik

Für mich sind die Elemente einer Mindmap, zumindest bei Mindmanager und Freemind, - den beiden Programmen, die ich kenne- viel zu sehr semantisch vorbelegt, während flexible Konzepte fehlen. Zwar kann man für jedes Problem irgendeinen Workaround finden, der aber wiederum die Semantik des Programms durchbricht und damit dem gewollten mentalen Modell des Programms eigentlich entgegensteht.

Eine Mindmap mag ein gutes Werkzeug sein für reines Brainstorming und Ideenfindung, für Websites, für Vorträge, für die Planung und Organisation von Meetings, zur Koordination anstehender Aufgaben. Dann aber setzen meines Erachtens auch schon die Grenzen ein.

Komischerweise muss ich sagen: meine Arbeitsweise ist so, dass ich Mindmaps zum Brainstormen nie einsetzen konnte, denn sie verlangen eigentlich schon eine gewisse mentale Vorarbeit, um nicht im Chaos zu enden. Ich muss also beim Brainstormen mit mindmaps eine weitere Aufgabe bewältigen, nämlich Ordnung schaffen. Dies lese ich auch bei der Uni Hannover und fühle mich in gewisser Weise bestätigt. Meiner Arbeitsweise entspricht das nicht.

Mind Maps sind bereits zu strukturiert für “chaotische” Ideenproduktion durch z. B. Brainstroming oder freies Assoziieren. Das “Heraussprudeln” von Ideen wird durch gleichzeitige Sortierungsversuche behindert.

Ich habe viel, viel Zeit damit verbracht, mir Gedanken darüber zu machen, wie ich das, was mir beim Mindmappen fehlt, irgendwie dann doch abbilden könnte. Diese Gedanken haben manchmal ein konstruktives, weiterdenkendes Arbeiten erschwert, insbesondere, als es um Arbeitsabläufe ging.

Die Kritik, die ich dann noch gefunden habe, bringt es außerdem anderes gut :

Ich kann nur davor warnen, sich aufs Mindmappen zu beschränken, auch wenn das Wort so modern klingt - ich warne vor dieser Beschränkung, weil es bloß schön einfach ist, Stichwörter zu sammeln, bunte Bildchen zu malen und danach nicht mehr zu denken

Das habe ich nicht getan - ich habe weitergedacht. Aber ich habe unzufrieden weitergedacht, weil ich nicht mehr nur über meine Inhalte sondern auch über das Programmkonzept nachgedacht habe - die Semantik hinter der Semantik

Fazit

Im Prinzip hätte ich nun zusätzlich mit einem Flowcharter arbeiten müssen. Vielleicht visio? Nein, nicht lachen, ich bewege mich ja hier gerade in der Microsoft Welt.

Ich bin inzwischen der felsenfesten Überzeugung, dass irgendwo der Cut kommt, der da heißt, sich einem komplexen Konzept wie UML oder Entity Relationship Modellen zuzuwenden, gerade dann, wenn auch programmiertechnische Ebenen mit im Spiel sind oder Aspekte wie Programmierung, Technik, User Interface, Usability und Workflows zusammenspielen.

Mindmaps sind aufgrund der zumindest in meinen Augen eingeschränkten Semantik der Relationen deutlich weniger leistungsfähig als semantische Netze. Während hierarchische Beziehungen gut abgebildet werden köönnen, wird der Aspekt der Kausalität vernachlässigt. Es scheint in meinen Augen eine “Dimension” zu fehlen.

Für die Schule allerdings möchte ich sie einsetzen. Da ging es die letzten Tage um Natürliche Zahlen, um Mengen innerhalb dieser Menge, um Rechenoperationen und Rechengesetze. Ich glaube, dass es den Schülern helfen wird, die Zusammenhänge zu verstehen - vielleicht haben sie sogar selbst Lust dazu, an einer eigenen Mindmap weiterzuarbeiten und so ihr Wissen in Beziehung zu stellen.

Für mich - für mein großes Sharepoint Projekt mit vielen verschiedenen Ebenen- wird das Mindmapping ausgedient haben, sobald ich mir einigermaßen sicher bin, dass ich wenigstens den grundsätzlichen Rahmen damit erfasst zu haben. Bis dahin beiße ich mich durch, weil ich das eben so beschlossen habe. Überzeugung: mäßig. Das Denken übers Denken empfinde ich als überflüssigen Schritt. Alles weitere überlasse ich wieder dem Papier (da mache ich mir wenigstens weniger Gedanken über das Für und Wider), einem leistungsstarken ERM Tool oder ich bin dann im Kopf soweit, parallel mit einer Dokumentation durchstarten zu können.

Und insgesamt ist mein Fazit, ergänzend zu oben: Mindmaps können eine Variante sein, sind sie die einzige, dann läuft etwas falsch, denn es führt zu eingeschränkter Sichtweise. Vielleicht haben die Mindmaps genau dann ihren Sinn und Zweck erfüllt, wenn man mit ihnen an ihre Grenzen stößt?

Bildnachweis: dieses hübsche Bild, dessen Geschichte man eigentlich auf den Grund gehen sollte, stammt von .

Neu seit heute übrigens der Tag “Denken” (ganz wichtig!)

 

6 Antworten zum Beitrag “Free your mind? - subjektive Mindmap Kritik”

  1. am 10 Dez 08 um 20:02 meint

    Habe Stellungnahme bei Suche Kritik und MindManager gefunden!

    Danke!

    Lese das noch einmal in Ruhe!

    Darf ich, falls ich Fragen oder Anmerkungen habe, ein Feed-Back geben!

    Volker-C. Lehmann

  2. am 10 Dez 08 um 20:10 meint

    Anne-Kathrin

    Oh ja, ich glaube, für diesen Artikel braucht man etwas Zeit…
    Ich freue mich natürlich jederzeit über Kommentare! Genau so soll es sein.

  3. am 24 Apr 09 um 07:53 meint

    Hallo, Anne-Kathrin,

    bin wieder da! Für die Vorbereitung von Veranstaltungen im Bereich Beruf und Arbeitswelt in Darmstadt und Bad Homburg v.d.Höhe möchte Ich Ihren Beitrag gerne verwenden.

    Könnten wir uns dazu dieses Wochenende abstimmen! Bitte dann kurzes email an mich mit Gesprächsmöglichkeiten!

    Ich suche für den Themenkreis “MindMapping und MindManager - der Königsweg … ? kritische Beiträge! Und ihr Ansatz führt meines Erachtens zu dieser Auseinandersetzung.-

    Herzliche Grüße aus der “BESSUNGER DENKSTUBE”!

    Volker-Christian Lehmann

    DERLEHMANN Individual Business, Darmstadt-Bessungen

  4. am 04 Jun 09 um 19:10 meint

    Hallo,
    einmal freue ich mich, mich als kritische Stimme zitiert zu finden,
    anderseits bewegen sich diese Überlegungen, was ihre technische Seite betrifft, in Dimensionen, die mir als älterem Herrn fremd sind.
    Das zugrunde liegende Problem ist das der Gliederung, welches ich unter diesem Stichwort in meiner Kategorie “Schreiben - Aufsatz” bedacht und dargestellt habe (aufgrund meiner Praxis in der Schule). Es gibt eben sehr verschiedene Möglichkeiten, Komplexe (”Dinge”) zu betrachten.
    Und es gibt unterschiedliche elementare sprachliche Handlungen (siehe unter diesem Stichwort), für die man vielleicht Symbole erfinden könnte (und müsste):
    Ich teile mit…
    Ich berichte…
    Ich beschreibe…
    Ich erkläre… usw.

    Ich finde es toll, dass DENKEN als tag gefunden wurde!

    Gruß, N. Tholen

  5. am 04 Jun 09 um 19:26 meint

    Um kurz noch an einem anderen Beispiel zu zeigen, worin ich die Probleme des m-mappens sehen möchte ich meinen kleinen Aufsatz über eine neue Form der Erörterung zitieren:

    Gruß, N. Tholen

  6. am 24 Okt 10 um 06:10 meint

    Norman

    Die fehlende Dimension der Mindmaps ist auch mir schon häufiger aufgestoßen. Kausalverbindungen lassen sich nun mal nicht durch das Verknüpfen von Entitäten ausdrücken. Auch das ständige ungeordnete, überbordende Verknüpfungsfeld, das beim Schreiben entsteht, lässt einen eher mit der Ordnung im Chaos kämpfen als produktiv zu arbeiten. Um die Effektivität und Effizienz zu überprüfen, sollten mal tatsächlich ein paar Studien her. Allein mit Plausibilitätsargumenten und Erfahrungsberichten ist da noch nicht viel gewonnen. Wofür also Mindmapping? Die subjektiven Eindrücke teile ich soweit jedenfalls.

Auch was dazu sagen?