Viel Theorie, viele Namen…

Beschäftigt man sich etwas mit diversen Ansätzen rund um die Themenkomplexe “User Centered” und “User Experience”, stolpert man irgendwann über “Persuasion Design” und auch über eine Theorie, die sich nennt und weder etwas mit Haustieren noch mit dem Design recyclelter Plastikverpackungen zu tun hat. Hier geht es um Überredungskünste… Eine Theorie, eine Methode - und doch nicht ganz unkritisch, wie ich finde. Vor allem hinsichtlich der Begrifflichkeit. Man solpert auch schnell über den Begriff der Authentizität, der Glaubwürdigkeit und natürlich über das Soziale. Wie wollen wir das Kind nun nennen?

Ein paar Überlegungen und ein bisschen Kritik.

Der Mensch, - zwischen Ratio und Emotio

Im Prinzip sind wir immer, wenn es um den Benutzer geht, bei dem Ergebnis, dass Usability heute schlicht nicht mehr ausreicht und auch dass User Centered nur dann zum Erfolg führt, wenn der User nicht nur als rational funktionierendes “Etwas” am anderen Ende der Leitung interpretiert wird.
User Experience heißt eines der Zauberworte: Erfolg hat heute nicht mehr nur mit purer Gebrauchstauglichkeit zu tun sondern mit Look and Feel und vor allem der Befriedigung von Bedürfnissen. Der Mensch mit Mittelpunkt mit all seinen Gefühlen, Macken und Sehnsüchten. Wir müssen also weitere Faktoren mit in unsere Prozesse einbeziehen: Emotion, Verhalten und das soziale Miteinander.

All das gilt auch fürs Webdesign, sowohl auf Serviceebene (wir als Anbieter von Webdesign und Webentwicklung) als auch für das Produkt Website, denn ein Trend ist erkennbar: wir wollen nicht mehr nur schlicht ein Produkt, wir wollen Produkt und Service, ein Ding aus einem Guss. Auch die Begriffe Produkt und Service verschmelzen langsam und verlieren ihre Eigenständigkeit.  “Stop designing products” titelt auch Peter Merholz in seinem “Subject To Change” eines der Kapitel, bringt ein uns allen bekanntes Beispiel: Apple und lässt uns damit feststellen, dass er recht hat - genau diese Mischung aus Produkt und Service (und insgesamt einer gelungenen Integration in unser alltägliches Leben) macht es doch irgendwie aus. Auch der Kunde, der eine Website bestellt, will ein Produkt und er möchte Service, der Kunde des Kunden ebenso.

Und weil es heute viele, viele Angebote und eine große Konkurrenz gibt, kommt natürlich ein weiterer Faktor hinzu: die Überredungskunst. Wie animieren wir den Nutzer, ein Produkt zu kaufen oder einen Service in Anspruch zu nehmen? Wie können wir ihn motivieren, den nächsten Klick zu machen? Alles schön und gut, aber… wollen wir uns deshalb als Verbraucher, als Kunde an der Nase herumführen lassen? Aus meiner Sicht klares NEIN!

Usability: kein Auslaufmodell, aber…

Usability, so Eric Schaffer, einer der aktuell Aktiven, wenn es um Persuasion Design geht, sagt ganz zu recht (frei übersetzt): Natürlich brauchen wir Usability. Denn wenn ein Produkt nicht bedient werden kann, kommen keine Botschaften an, die den Nutzer in irgendeiner Form zu irgendetwas überreden oder motivieren könnten.

Das klingt gut, das klingt plausibel, ob es schön klingt, ist eine andere Frage.  Natürlich gehört zu einer guten Theorie auch ein guter Ansatz, diese Theorie in die Praxis umzusetzen. Beispielsweise die :

  • Uncovering
  • Wireframes
  • Storyboards
  • Prototying
  • Development
  • Optimization

Kommt einem irgendwie ziemlich bekannt vor, oder? Es unterscheidet sich nämlich nicht wirklich grundlegend von den Deliverables im Bereich User Experience, die ich kürzlich noch einmal in der gedanklichen Mache hatte und es unterscheidet sich ebenso nicht grundsätzlich von einem ganz normalen Webdesign Prozess, sehen wir mal von der ein oder anderen Begrifflichkeit ab.

Brauchen wir also wirklich noch eine Theorie? Noch eine, die mir irgendwie das ungute Gefühl mitgibt, man spiele hier alle Register aus, Menschen zu manipulieren? Sie mit allen psychologischen Tricks zu etwas zu überreden, das sie vielleicht eigentlich gar nicht wollten?

Manipulation - Gewollt? Erlaubt?

Sofort schwingt da nämlich bei all dem, was uns so bekannt vor kommt, nun aber als Überredung verkauft wird, auch die Frage nach dem Marketing mit hinein. Und mehr als ein bisschen kritisch sehen das damit sofort Menschen wie ich, die sich gerne als “werberesistent” bezeichnen (wissentlich, das auch sie irgendwann mal anbeißen). Trotzdem habe natürlich auch ich gerne Produkte in Händen, die nicht nur ihren Job tun sondern auch dazu beitragen, dass ich mich wohl fühle und sagen kann “Passt zu mir!” oder “Spricht mich total an”.

Ist Persuation Design überhaupt das, was wir verkaufen wollen? Können wir das vertreten? Eine etwas relativierende Antwort gibt vielleicht Robert Fabricant im :

Persuasion design embeds various forms of influence and “choice architectures” in products and services to maximize the likelihood of positive behavior change.

[...]

At its best, this model starts with results and works backward from there.

- der Designprozess mit etwas subjektiver Komponente? Top Down? Ein lesenswerter Artikel übrigens…

Vielleicht sind wir damit auch wieder bei etwas anderem, das dann doch für meine Begriffe deutlich sympathischer erscheint: Authentizität und Glaubwürdigkeit - beides übrigens auch Begriffe, die das PET Design kennt. Und nicht zu vergessen die Frage nach dem “Was brauchen und was wollen die Leute?”

Ich tue mich jedoch hart mit einem Ansatz, der zwar viel Wahrheit beinhaltet und auf etwas setzt, das nunmal unumgänglich ist und nochdazu das Ziel eines jeden, der irgendwie Erfolg haben möchte: Marketing und Verkauf - diesen Aspekt aber wie ein großes rotes Schild vor sich herträgt. Wir kriegen dich! Lass dich verführen! - Wir manipulieren dich mit allen Tricks, bis wir dich haben!

Wie wir das Kind nun nennen ist prinzipiell egal und schnell wird dabei klar, dass sich auch hinter der ein oder anderen Theorie teilweise nicht mehr verbirgt als ein Geschäftsmodell. Der generelle Ansatz, den Designprozess natürlicher und menschlicher werden zu lassen, ist ebenso wie das Prinzip von mehr User Centered und mehr User Experience ein schlicht konsequenter Schritt zum erfolgreicheren Produkt und Service. Einem Produkt oder Service, das einfach nur glücklich und zufrieden macht? Ob eine Theorie, die mich eher an meinen Hund oder den Recyclinghof erinnert, mich aber bei näherer Betrachtung vor allem in Richtung Manipulation und psychologisches Moment denken lässt, da das Richtige ist, wage ich für mich zu bezweifeln. Naja, vielleicht bin ich auch zu idealistisch!?

 

Auch was dazu sagen?