Abi im G8: Es hat uns geschafft

Es ist vollbracht: die ersten bayerischen Schüler des achtjährigen Gymnasiums haben ihr Abi in der Tasche und das G8 lässt sich mit sämtlichst zugedrückten Augen als Erfolgsmodell verkaufen.
Die Versuchskaninchen, wie mein Sohn sich selbst und seine Mitschüler in den vergangenen acht Jahren gerne titulierte, haben das Experiment wohlbehalten überstanden.
Zeit abzurechnen nicht nur mit dem bayerischen Kultusministerium sondern auch mit dem Schulverkürzungs und Bildungsreform Trend, der sich bundesweit abzeichnet und dazu führt, dass die Eltern auf die Barrikaden gehen angesichts vollgepackter Lehrpläne, mangelnder Vorbereitung auf die Uni im Speziellen und das Leben im Allgemeinen, angesichts des ganzen Stresses und und und…?

Der Stress… der ganze Stress?

Ehrlich, liebe Mit-Eltern.
Manchmal kann ich da wirklich nur lachen. Die letzten acht Jahre waren stressfrei - zumindest für uns. Ich kann mich nur wundern über die Schüler, die sogar sonntags von früh bis abends am Schreibtisch hocken und büffeln und von Jahr zu Jahr ausgepowerter ins nächste Schuljahr starten, während Freizeit und Freundschaften leiden.
Gibts die? Wo sind sie? Ich kenne keine - außer vielleicht der typischen “Streberriege”, die aber bestimmt alles ist, nur keine Erfindung des G8.
Ich kenne auch nur die Eltern, denen es ähnlich geht wie mir: sie wundern sich, wo die Eltern und Schüler sind, denen das G8 so zu schaffen macht.
Die letzten 8 Jahre waren stressfrei, man kann sich nur wundern, mit wie viel Mut zur Lücke es möglich ist, sich durch dieses G8 zu lavieren und dabei noch ein gutes Abi hinzulegen.

Klar, es fing chaotisch an. Schon in der 5. Klasse hatten die kleinen “Zwuggerln” zwei Nachmittage Schule. Für 10-11 jährige schon nicht ohne, für Eltern und Omas, die den Fahrdienst machen, auch nicht. Auch wir haben Hobbys reduziert, weil sie einfach nicht mehr zu vereinbaren waren mit dem Stundenplan. Mehr aber auch nicht. Es war ein organisatorisches Problem. Die Zeit, die dadurch noch blieb, wurde an diversen Playstations und am Computer verbracht, bestimmt aber nicht in Gesellschaft eines Lateinbuchs.
Das KuMi hat schnell gelernt: funktioniert so nicht.  Funktioniert so insbesondere aber aufgrund Personalmanagement nicht, - meine Meinung. Also wurden die Intensivierungsstunden sukzessive wieder gekappt und die Nachmittagsstunden wurden wieder weniger. Jeder Jahrgang unterhalb meines Sohnes hatte wieder ein bisschen weniger Stunden und ein bisschen weniger “Innovation”. Und auch im ersten Jahrgang wurde zurückgerudert.
Ich kann mich an kein Schuljahr erinnern, in dem mein Sohn (und auch nicht meine Tochter, die gerade mitten im G8 steckt) regelmäßig abendelang gepaukt hätte.

Freizeitproblem

Aus meiner Erfahrung hat das so häufig genannte Freizeitproblem übrigens auch andere Ursachen: Es ist eben nicht mehr der Fußballverein im Dorf, es ist das Sportzentrum in der nahegelegenen Großstadt. Es ist nicht mehr der Klavierlehrer um die Ecke sondern die Musikadamie. Den Stress, glaubt es mir, hab ich schon mit einem Erstklässler… Und später? Da ist es nicht mehr der Freund von nebenan, sondern der Klassenkamerad aus einem Kaff in der entgegengesetzten Richtung.

Nein, mit Stress hat das G8 aus meiner Erfahrung nichts zu tun. Ich weiß nicht, wo die Kinder und Eltern sind, die von Leistungsdruck erschlagen werden und ihr ganzes Leben umkrempeln müssen, weil das Kind jetzt aufs Gymnasium geht und dort ein Opfer undurchdachter Schulzeitverkürzung wird. Undurchdacht -ja. Opfer? Nein. Und so werde ich den Gedanken nicht los, dass hier einiges hausgemacht ist. Dass der Leistungsdruck vielleicht auch von  Eltern kommt, die ja selbst ein Opfer der Leistungsgesellschaft sind und den Erfolgsdruck an ihre Kinder weitergeben. Hausgemacht von einer Gesellschaft, denen die 2 nichts mehr wert ist, weil es die 1 auch noch gibt?

Sind es nicht auch wir Eltern, die unseren Kindern mehr abverlangen? Die sie vielleicht aufs Gynmasium schicken, obwohl sie da nicht hingehören? Ist es nicht mehr unsere Kapitulation, wenn es das Kind eben nur auf die Realschule geschafft hat, als die der Kinder? Die kenne ich nämlich schon, die Ihr Kind schon als Stipendiat an der Uni sehen oder bei Mc Kinsey in der Führungsriege, wenn es gerade mal den Übertritt geschafft hat… Die, die sich in der ersten Klasse schon zum Kinderarzt bemühen, in der Hoffnung, hinter irgendwelchen Problemen verberge sich letztendlich ein hochbegabtes Kind, dem man einfach nicht gerecht werden könne…

Nein, der Stress ist nicht die eigentliche Misere des G8…

Profilierung durch einen unausgegorenen Schnellschuss?

Chaotisch war es und das hat nicht nur den Schülern, sondern insbesondere den Lehrern einiges abverlangt. Das G8 (zumindest in Bayern): Chaos pur, ein Schnellschuss, ein in seiner ursprünglichen Konzeption gescheitertes Prestigeobjekt mit einigem Nachbesserungsbedarf.

Improvisation ist gefragt

Jahrelang wurde der Lehrplan mit dem Beginn des aktuellen Schuljahrs fertiggestellt. Bücher waren nicht gedruckt, weil noch nicht oder erst im September genehmigt. Jahrelang hat mein Sohn bis November in manchem Fach kein Schulbuch sondern nur eine kopierte Zettelsammung oder alte zerfledderte G9 Bücher, mit denen kein Lehrer mehr unterrichten konnte oder wollte. Das Chemiebuch für die 12. Klasse erschien offiziell im Mai 2011 - der Monat, in dem auch das Abi anfing. Das ist der Punkt, an dem ich mich maßlos empöre: es gab nämlich für nicht-Lehrer keine Möglichkeit, den inoffiziellen Teildruck über den Verlag (in dem Fall Klett) zu beziehen.
Lehrer mussten immer wieder improvisieren und wurden mindestens genauso ins kalte Wasser geschmissen wie ihre Schüler und das in riesigen Klassen (mein Sohn fing in einer von vier fünften Klassen mit jeweils deutlich über 30 Schülern an).  - aber das haben sie im Wesentlichen prima gemacht, wie ich zumindest für unsere Schule sagen kann.

Ein teils komischer Stoff

Nein, es war nicht zu viel Stoff, auch wenn gerade beispielsweise Deutschbücher (mit denen die wenigsten Lehrer überhaupt gearbeitet haben) von Jahr zu Jahr dicker wurden. Es war und ist in mancherlei Hinsicht ein komischer Stoff.
Was mich also im Nachhinein  wurmt, aber auch verwundert, ist rundrum der Lehrplan. Vor allem in den Naturwissenschaften.
Ist es das, was wir aus Pisa lernen können? Hockt uns Deutschen das wirklich so im Nacken, dass mal schnell an einer Stelle angesetzt werden muss, um mithalten zu können, ohne dabei zu überdenken, dass wir als Gesellschaft umdenken müssten, statt es an unseren Kindern auszulassen?

Da wird beispielsweise das Fach Natur und Technik eingeführt, das Bio, Erdkunde und Physik vereint und auch ein bisschen Informatik reinbringt. Eine Herausforderung für jeden Lehrer, für mich aber auch eine Riesenchance: Zusammenhänge darstellen, die Welt begreifen. Wären da nicht die Lehrer gewesen, die vielleicht das Knowhow, aber nicht die Möglichkeiten gehabt haben, weil doch der Lehrplan viel mehr Zeit erfordert hätte, als aufzubringen war. Und so bleiben mir dann seltsame Dinge in Erinnerung wie “Male mit Microsoft Word ein Haus”. Oder tolle Projekte, die irgendwie im Sand verliefen, weil alle den Aufwand unterschätzt hatten, wieder andere Dinge warteten oder sich der Lehrplan und damit der Fokus plötzlich wieder geändert hatte… Natur und Technik: sicherlich eines der Fächer, die Lehrer in den ersten Jahren zum Wahnsinn getrieben haben, mussten doch plötzlich die Physiklehrer wie aus dem Nichts Informatik unterrichten und etwas über die Eigenschaften von Objekten in Textverarbeitungsprogrammen erzählen (ich schwörs Euch: darüber habe ich im Leben noch nicht nachgedacht).

Ein großes Ärgernis für mich als Mathematikerin ist der Unterstufenlehrplan für Mathematik: ein einziger Switch zwischen verschiedenen Themengebieten, zusammenhangslos präsentiert ohne die Grundlagen zu schaffen. Was haben wir das Bruchrechnen exerziert, bis wir das im Schlaf konnten… Den Schülern des G8 fehlt in gewisser Weise das Handwerkszeug. Die können das nicht mehr im Schlaf. Es fehlen die Basics, die Grundlagen und damit die Routine im Umgang mit Zahlen. Eher mutete das Ganze teilweise fast schon esoterisch an…

Ein bayerisches Problem ist sicher auch die zweite Fremdsprache, die sich gleich in der 6. nahtlos an die erste Fremdsprache in der 5. Klasse anschließt. Noch ist Englisch in den Grundschulen noch nicht wirklich gut integriert. “Vergessen Sie das, was Ihre Kinder in der Grundschule an Englisch gelernt haben”, hallt es noch in meinen Ohren. Die Worte einer gymnasialen Englischlehrerin zu Beginn der 6. Klasse. Zwei Fremdsprachen ohne wirkliche Basis aus der Grundschule, darunter eine notgedrungen Latein oder Französisch - das müsste definitiv irgendwie anders laufen, damit man sich auf das wirklich neue konzentrieren kann.

Es gäbe unzählige Beispiele für nette, aber unausgegorene Ideen, die einen als Eltern ratlos zurückließen, weil sie den experimentellen Charakter des G8 in jeder Facette zeigen. Beispiele, die sicherlich vor allem Schulleitung und Lehrer zur Verzweiflung gebracht haben. Als Eltern blieb mir manchmal nur der unausgesprochene Gedanke “so ein Blödsinn”. Ich war jahrelang verwundert über dieses thematische Gehoppel, über das, was die Kinder lernen sollte und über das, was sie nicht wissen mussten. Über die Oberflächlichkeit einerseits und die Liebe zum Detail andererseits.

So passierte es dann (und hier sehe ich extremen Nachbesserungsbedarf), dass manche Fächer halbjahresweise gar nicht unterrichtet wurden wie beispielsweise Biologie oder Erdkunde und andere zugunsten konstantbleibender Religionsstunden in absolut reduzierter Stundenanzahl durchgezogen wurden. Ich weiß gar nicht: wie konnten wir das nur schaffen? Ich hatte seinerzeit jeden Tag Deutsch und jeden Tag Mathematik… Heute gibt es Jahre, in denen wichtige Fächer mit drei Wochenstunden auskommen müssen, womöglich noch in einer Doppelstunde am Montag und Freitags in der 6. Stunde…

Nein, es wurde nicht mehr Stoff. Es wurde ein anderer Stoff.
Das G8 und sein Lehrplan: zwar auf der Seite des ISB weitestgehend gut dokumentiert und trotzdem eine Black-Box.
Man muss sich lange und eingehend Gedanken machen, um für sich die Frage zu beantworten, ob die Schüler denn nun gut vorbereitet sind auf die Uni und das Leben.

Und wo sind die Lehrer?
Sie wären eigentlich da und warten, dass sie auch mit einem Staatsexamen jenseits der 1,0 ihren Job machen dürfen. Stattdessen Stundenausfälle. Unterrichtsstoff, der nicht komplett durchgenommen werden konnte. Empörung (nicht Verzweiflung) bei den Schülern, dass die Lehrer den verpassten Stoff des letzten Schuljahrs nur im Eiltempo abhaken können.

Braucht das G8 einen anderen Schülertyp?

Das zog sich hin bis zum Abitur… und heute bin ich im Nachhinein an mancher Stelle positiv überrascht und gelegentlich fast entsetzt.
Das G8: ein bildungspolitischer Schnellschuss, der irgendwie einen anderen Schültertypus voraussetzt? Einen, der neugierig mit offenen Augen durch die Welt geht und sich das notwendige Basiswissen eigeninitiativ aneignet? So zumindest erscheint es mir rückblickend.
Klar, dass damit nicht mehr jeder Schüler klar kommt und klar, dass hier irgendwann immer größere Lücken klaffen können - nicht müssen, wohlgemerkt.(Ich muss dazu sagen, dass meine Kinder nicht zu denen gehören, die gerne mal was freiwillig lernen, das nicht explizit von Ihnen verlangt wird…)
Fatal allerdings, weil gerade nach der Herabstufung der Hauptschulen, dem weiteren Schnellschuss “Mittelschule” und anderer Reformen im Schulwesen immer mehr Kinder ins Gymnasium drängen (oder gedrängt werden?).

Hilfe! Abi.

Ich habe die letzten Monate oft mit schlaflosen Nächten verbracht und der Frage: Wann fängt der Kerl mal an zu lernen?
Ich war das G8 gebrannte Kind, hatte ich mich doch als Eltern zwangsläufig versucht zu informieren, wann immer es ging.

Q11 und Q12: neues Konzept, neuer Name

Q11 und Q12 mit neuem Konzept liefen zunächst gar nicht so straight aufs Abi hin, wie ich mir das vorgestellt hatte.
Es gab P- und W-Seminare, eines mit praktischem Fokus, eines mit wissenschaflichem (und einer “Facharbeit” - in den Anforderungen allerdings deutlich abgespeckt gegenüber Facharbeiten im G9). Das Konzept eigentlich ganz nett, wie ich fand, die Umsetzung irgendwie natürlich mal wieder an der Praxis vorbei. Man hätte viel draus machen können, einiges blieb auf der Strecke, man hätte eben doch mehr Zeit gebraucht. Vieles nur angerissen, viele Ideen großartig gestartet und dann irgendwie zu Ende gebracht. Das P-Seminar als Orientierung fürs spätere Studium und Berufsleben? So nett und engagiert das auch ablief, konnte es in der Praxis genau das eben nicht leisten.

Wir (ich meine damit meinen Sohn und mich) standen wie wahrscheinlich viele Lehrer vor einer Black-Box. Er cooler als ich.
Das einzige, das uns irgendwie instinktiv klar war: Das G8 Abi werden die meisten problemlos schaffen.
Allein schon deshalb, weil sich Herr Spaenle und das KuMi keine Blöße geben konnten und im Zweifel ihren eigenen Kopf retten mussten.
Nicht etwa, weil sie in den vergangenen eine Meute voller gestresster Abiturienten am Rande des Burn Out produziert hatten sondern weil es ihnen über 8 Jahre nicht gelungen war, die Anforderungen ans Abi etwas transparenter zu gestalten als die Anforderungen an die vergangenen Schuljahre und es damit praktisch unmöglich war, sich in ähnlicher Weise wie die G9ler auf das Abi vorzubereiten. Und weil sie acht Jahre Chaos pur, Hin-und Herschlingern und mangelnde klare Linie als Erfolgsmodell verkaufen mussten.

Abiturvorbereitung: im Stil einer Unbekannten

Abituraufgaben der letzten 25 Jahre, für die vergangenen Jahrgänge eine solide Grundlage in der Abivorbereitung, waren mehr oder weniger hinfällig. Es gab lediglich Abituraufgaben “im Stil des neuen Abiturs”. Ob das nun wirklich so oder nicht doch ein bisschen anders werden würde: wir wussten es nicht.
Wiedermal waren die Lehrer gefragt, das Beste daraus zu machen und das haben sie getan. Hut ab, kann ich da als Mutter nur sagen: Ich bin begeistert. Es hätte, so sagt mein Sohn, Lehrer und Schüler zusammengeschweißt. Die Mission “erstes G8 Abi” war eine, in der es nur ein Ziel zu geben schien: das muss irgendwie klappen, egal was die Jahre davor passiert ist.

So habe ich meinen Sohn die vergangenen Ferien immer wieder zu Mathe-Crashkursen in die Schule gefahren. Danke, das war ganz große Klasse! Vielleicht war es für einige auch die letzte Rettung? Wer weiß…

Wenn sie es nicht getan haben, die Lehrer, war Eigeninitiative gefragt.

Amazon und der Stark Verlag haben gut an mir verdient, insbesondere wenn es um Chemie ging. Für mich ein Wow Effekt: heute beschäftigt man sich mit dem Prinzip hinter der Einmalwindel (nach Fukushima ja sehr aktuell), mit Bierherstellung, malt nette Titrationskurven, hat aber wenig Ahnung vom Periodensystem und Oxidationszahlen und legt weniger Wert auf saubere Redoxgleichungen. Kann dafür aber Mesomiere-Komplexe irgendwelcher Aromaten im Schlaf, pinselt eifrig grenzwertig lange Peptidketten und markiert wie in Trance irgendwelche Bindungen.
Buch gab es keines. Wir hatten richtige Fachbücher plus ein paar eher windige Abituraufgaben “im Stil des neuen Abiturs”, in denen sich meines Erachtens immer wieder Fehler tummelten.
Mathematik: eine belustigende Sache. Wengistens hat man Poisson aus der Statistik gestrichen, da es keinen LK mehr gibt, dafür aber geht es auf den ersten Blick weniger um die Aufgaben sondern ums Setting drumrum.  Früher haben wir Kugelschreiber getestet und die Ausschusswahrscheinlichkeit berechnet. Heute sind die Aufgaben gesellschaftlich korrekt und spielen sich an Hochschulen ab, wo Jungen und Mädchen in vergleichbarer Quote interessante Kurse belegen.
Ergo: wer sich auf ein G8 Abi vorbereitet, muss lernen, unwichtige Infos drumrum quer zu überlesen, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren und sich anzugewöhnen, auch evidente Ergebnisse hinzuschreiben, als wäre es der Geisteblitz schlechthin, um nicht wertvolle Punkte zu verschenken.
Das Deutschabitur, auch schon vielfach kritisiert: Nice!
Was will der Schüler mehr als ein romantisches Gedicht, das vor Romantik nur so strotzt und was wünschen sich die, die sich nicht aufs Gedicht einschießen wollten, mehr als eine Erörterung zum Thema Facebook?
Habt Ihr Eltern echt erwartet, dass man in einem Deutsch Abi mal locker mit einem Einser rauskommt?
Ich hab mein Abi damals im Deutsch LK über Uwe Johnsons Jahrestage geschrieben und muss Euch sagen, das war, andere Vorbereitung hin oder her, auch kein Zuckerschlecken… Halten wir doch den Ball mal flach: das war an dieser Stelle schon okay.

Trotzdem musste man in letzter Sekunde nachbessern. Die Anforderungen waren zwar im Nachhinein soweit okay, nur die Vorbereitungsmöglichkeiten waren unzureichend, keiner wusste, was ihn denn erwartet. Und so war denn das Kultursministerium so freundlich,  denen, die sich fürs Schriftliche falsch vorbereitet hatten, doch noch ihr Abi hinterherzuschmeißen. Nicht aus Großzügigkeit, so wage ich mal zu behaupten, sondern aus purem Eigennutz: Klappt doch das G8, war doch ein totaler Erfolg. Jetzt stimmt die Quote und damit stimmt das Modell. Prima.

Geschafft… und jetzt?

Wir haben es geschafft - mein Sohn hat es geschafft.
Und es hat uns geschafft. Wie es wahrscheinlich jährlich schafft. Nur, dass es dieses Jahr etwas spannender war, weil wir nicht wussten, was uns erwartet.
Es war aber nicht stressiger. Viel Stoff wurde gestrichen. Ich bin sehr erstaunt, was man alles nicht wissen musste.
Mathematik ist um einiges abgespeckt worden, den Chemie Abiturienten wurde viel an Biochemie erspart, in Geschichte kam man gut ohne Jahreszahlenwissen aus.
Ich bin alles in allem positiv beeindruckt, wie viel Allgemeinwissen mein Sohn im G8 angesammelt hat und wie viele Zusammenhänge er fürs tägliche Leben mitgenommen hat.
Und ich bin erstaunt wie leicht es dann doch war, das G8.
Die Abizeitung seines Jahrgangs: auch eine Abrechnung mit Herrn Spaenle und dem Versuchskaninchenstatus. Sicherlich aber keine Abrechnung eines gestressten Abiturjahrgangs, der die vergangenen 8 Jahre nur mit Pauken verbracht, sondern eine Abrechnung mit acht überaus chaotischen Jahren, die jetzt in eine unsichere Zukunft an den Unis mündet und ohne das Engagement der Lehrer im totalen Chaos geendet wäre.
Ich glaube aber, trotz all ihrer berechtigten Kritik an diesem Experiment hatte er eine schöne Schulzeit.

Begeisterung vermischt sich mit Entsetzen

Ich bin begeistert einerseits, was da in acht chaotischen Jahren an Zusammenhängen und Allgemeinwissen hängen geblieben ist. Bis vor 2 Jahren habe ich das G8 gerne mal als Blödsinn abgetan, aber dieser Aspekt, der gefällt mir. Und doch erschreckt es mich, wie es an der ein oder anderen Stelle an Grundlagen fehlt, wie oft da der Taschenrechner gezückt wird. Wie hoch die Anforderungen ans eigenverantwortliche Lernen sind und wie wenig sie an dieser Stelle geschult wurden.

Ich halte das G8 nach diesen acht ersten Jahren durchaus für ein Zukunftsmodell, aber eines, das dringend nachgebessert werden muss und sicherlich Teil einer Schulreform und neuen Bildungspolitik sein muss, die eben nicht von heute auf morgen gehen kann.

Ich bin daher gespannt, wie sich das G8 weiterentwickelt. Jetzt habe ich den direkten Vergleich mit vier Jahren Abstand. Einiges hat sich schon getan. Es sind wieder weniger Stunden geworden, die geballte Ladung hat da nur der 2011er Jahrgang abgekommen.
Die Lehrpläne sind langsam klarer, die Bücher sind da, die Lehrer können inzwischen Informatik unterrichten.. ;-) , die nächsten Abiturienten kennen die Aufgaben “im Stil des G8″.
Aber stressig… ist es immer noch nicht.
Es ist nur immer noch irgendwie chaotisch und unausgegoren.
Lernen? Das haben sie nicht gelernt.

Und das Kultusministerium? Das wird wahrscheinlich (und hoffentlich!)  noch Jahre nachbessern an einer Schulpolitik, der insgesamt die Stimmigkeit fehlt, die ein Bildungsgefälle klaffen lässt, die Lücken schafft und Basics vernachlässigt.
Die vielleicht erst mit dem Konzept Ganztagesschule ein Erfolg werden kann, damit endlich die Zeit da ist, die Lehrer und Schüler bräuchten, um die durchaus positiven Aspekte des G8 herauszuholen.

Etwas zu kurz kamen für mich bei vielen Diskussionen ums G8 die Lehrer. Vielleicht sind sie mundtot gemacht worden, vielleicht sind sie es mit dem Burn Out? Sie haben gerade im ersten G8 Jahrgang wirklich einiges geleistet, um das Chaos in Grenzen zu halten und den Kindern den nötigen Grundstock zu geben, wenn nötig auch mal außerhalb oder am Rande des Lehrplans. Vielleicht bin ich zu sehr das Kind einer Lehrerin, aber ich finde, das ist ein Punkt, den es sicherlich besonders hervorzuheben gilt.

Mein Sohn will Lehrer werden.
Unbedingt.
Ich finde das klasse. Es ist sein Wunsch seit der 6. Klasse, er wusste auch damals schon “seine Fächer”. Heute muss ich ihm leider raten, sein Studium so flexibel wie möglich anzulegen. Lehrer sind im Moment nicht gefragt in Bayern, obwohl gerade die, die den Job gerne machen würden, dringend gebraucht würden.
Wenn er an die Uni kommt, im Wintersemester, ist er gerade mal eine Woche 18 Jahre alt.
Er freut sich unheimlich drauf.
Er muss keinen Zivildienst mehr machen, er muss auch nicht mehr verweigern.
Aber er ist, weil auch noch ein “Vorzeitiger”, sehr jung. Wahrscheinlich einer der jüngsten an der Uni.
Ich bin mir sicher, er macht das.
Aber ob das G8 wirklich eine gute Vorbereitung war, das bezweifle ich.

Linus macht, wenn es denn alles so läuft, 2022 Abitur. Bis dahin erwarte ich mir, dass das alles reibungs- und frustlos funktioniert.

Herzlichen Glückwunsch aber erstmal dir und deinen Mitabiturienten, Cornelius!

 

3 Antworten zum Beitrag “Abi im G8: Es hat uns geschafft”

  1. am 12 Jun 11 um 07:09 meint

    Antje

    Hallo Medamind!

    Ich kenne (hier in Sachsen) nur “G8″. Das war so, ist so und wird auch hoffentlich immer so bleiben. Ich freue mich für die Bayern, dass es nicht mehr 13 Jahre bis zum Abi dauert. Die Übergangsprobleme sind natürlich interessant, wobei ich mich letztlich frage, warum das Abi deutschlandweit nicht gleich ist.

    Durch den Wegfall der Wehrpflicht sind die Jungs natürlich ziemlich jung. Bei Mädchen ist es sowieso immer knapp mit der Zeit. Studium, Beruf, Kinder - so hat man mehr Zeit um in den Beruf zu kommen, bevor die “Kinderfalle” zuschnappt.
    Prinzipiell stellt sich mir aber die Frage, ob man sofort nach dem Abi zum Studium soll - oder doch erstmal irgendwas Praktisches machen, bevor es schon wieder ans Lernen geht?

    Dann Glückwunsch und alles Gute! Die schöne Schulzeit ist ja dann leider schon vorbei. Grüsse! Antje

  2. am 14 Jun 11 um 07:07 meint

    Anne-Kathrin

    Jung sind sie, ja. Ob die Unis darauf vorbereitet sind, ist fraglich.
    Ich hab mich auch schon bei der Frage ertappt, ob nicht ein Orientierungsjahr eigentlich ganz gelungen wäre.
    Vielleicht wird so der Freiwilligendienst zum unverhofften Erfolgsmodell?
    Ich bin trotz allem eigentlich ganz überzeugt vom bayerischen Schulsystem. In der Vereinheitlichung sähe ich nur einen Vorteil: es würde das Schulsystem durchgängiger machen und damit unserer mobileren Gesellschaft gerechter werden.

    Einen wirklich gelungenen Überblick gibt es übrigens hier:
    (interaktive Infografik, absolut sehenswert!)

  3. am 06 Feb 12 um 19:00 meint

    May

    Hallo!
    ich bin selbst grad in der 11. Klasse im bayerischen Gymnasium und muss sagen: ich will das G9 zurück!!!!!
    Es bringt mir herzlich wenig, wenn ich mit 17 mein Abi hab. Dann kann ich noch nicht mal alleine Auto fahren, geschweige denn eine eigene Wohnung mieten.
    Desweiteren bin ich mit dem zu lernenden Stoff vollkommen überfordert. Und da bin ich nicht die einzige, meinen “Mitstreitern” geht es da ganz ähnlich. Vor lauter Lernen gibt es keine Zeit mehr für Spaß, Hobbys, Sport, Freunde, Schlaf. Ja selbst Essen hat manchmal nicht mehr oberste Priorität vor dem Lernen. Da wundert es mich echt nicht, dass es zu Zusammenbrüchen kommt. Zu Weinanfällen mitten im Unterricht. Dass eine komplette Klasse mit Fieber da sitzt und versucht, Faust zu interpretieren (denn Fehlstunden kann man sich nicht erlauben). Dass Eltern ihre Kinder zum Psychologen schleifen, weil diese mit dem Druck nicht mehr fertig werden. Weil sie Panikattacken haben.
    Und ganz ehrlich? Kein Mensch wird mich später fragen ob ich mal bitte eine Kurvendiskussion durchführen kann. Ich werde meinem späteren Arbeitgeber auch nicht erklären müssen, wie genau der Querschnitt durch ein Eichenblatt aussieht oder was die Endosymbiontentheorie ist. Um überhaupt erstmal Arbeit zu kriegen müsste ich aber wissen, wie man eine Bewerbung schreibt. Tja, kein Plan würd ich mal sagen…
    Ich weiß z.B auch nicht, wie ich mich wirklich gesund ernähre (Ist ja auch total unwichtig, verstehe schon, richtige Ernährung werd ich nicht brauchen in meinem Leben).
    Aber gut, dafür kann ich ja ausrechnen, mit welcher Geschwindigkeit eine 20k schwere Kugel auf den Boden aufkommt, die ich von einem 10m hohen Turm geworfen habe. Bestimmt wird der Tag kommen, da werde ich ohne diese Information total Aufgeschmissen sein -.-
    Tut mir Leid, dass ich mich hier so (entschuldigt den Ausdruck) auskotze, aber ich hab sowas von keine Lust mehr.
    Schätzet euch alle glücklich, die nicht am bayerischen Gymnasium innerhalb von 8 Jahren Abitur machen und dadurch zur perfekt funktionierenden kleinen Maschnie werden müssen.
    LG, May

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