Von Nerds und Nerdinen

schreibt Martina Diel bei O’Reilly im Weblog, räumt auf mit gesellschaftlichen Vorurteilen gegenüber denen, die da in der IT Branche arbeiten und spannt damit einen Bogen in andere Richtung: auch wir Frauen hätten damit eine Chance, Beruf und Familie zu vereinbaren.

Ich schreibe mal weiter: Es ist kein Problem der Branche und es ist kein Problem zwischen Frauen und Männern. Es ist auch ein Problem der Frauen selbst.

Der Nerd, der Freak, der Junkie

Wir kennen das alle, das Klischee des Nerds, von Max Goldt schon so treffend formuliert in “ein gutes und ein schlechtes neues Wort für Männer” (11/97), erschienen in “Mindboggling Evening Post”:

Das sind so Leute wie Bill Gates, so leicht asexuelle Männer mit Brille, die den ganzen Tag vor dem Computer sitzen.

und weiter (es macht einfach Spaß, ihn zu zitieren…):_

Sie haben eine sogenannte Bettfrisur, d.h. irgendwie plattgelegene Haare [...] sie haben ein Abo für eine komische Fachzeitschrift [...] essen Tiefkühlpizzen und zu feierlichen Anlässen welche vom Bringdienst.

Was Goldt 1997 noch nicht ahnen mag ist die Vielfalt an IT Berufen, in denen sich der “Nerd” heute so tummelt: Administratoren, Datenbankfuzzis, Coder, Webworker… er hätte sich sonst sicherlich auch noch in diese Richtung näher ausgelassen.

Frau Diel bringt die Klischees dann schon auf den Punkt:

Der Programmierer, der bei kalter Pizza und abgestandener Cola stundenlang seinen Source Code immer wieder kompiliert und kompiliert [...] der Systemadministrator, der an einem Sonntagmorgen um 4 Uhr vom Bereitschafts-Handy geweckt wird und mit rotgeränderten Augen ins Rechenzentrum schlurft…

Auch ich kenne solche Menschen (lieber I., ich glaube, das liebliche Surren der Server auf ein paar überhitzten und notdürftig mit Klimaanlage ausgestatteten Quadratmetern, muss glücklich machen…). Aber ich behaupte, es hat nichts, aber auch gar nichts mit männlich oder weiblich zu tun (oder wenn dann nur mit den eigens auferlegten Prioritäten von Männern und Frauen - Lisbeth Salander ist Fiktion, mit Sicherheit). Es hat auch nichts mit der Branche zu tun. Höchstens mit dem Medium: mit dem Glücksgefühl des erfolgreichen Codens oder dem Adrenalinkick beim Geräusch der vor sich hin arbeitenden Lüfter. Vielleicht auch ein bisschen mit Macht über die Maschine, über das Programm und natürlich auch den Code. Und mit den vielfältigen Möglichkeiten der IT Branche, sich Probleme zu machen, von deren Existenz vorher niemand etwas wusste.

Freiwillig in die Sucht?

Die, die ich kenne,  - ja das sind alles Männer. Es sind aber vor allem Männer ohne Familie, ohne Kinder. Sie tun das freiwillig. Sie haben nochdazu auch gerne mal die Freiheit (gerne mag man es auch neidvoll die Gunst nennen) ausschlafen zu können und  erst gegen mittags am Arbeitsplatz sitzen zu müssen. Sie haben sich ihre Welt geschaffen - praktisch, dass es in der IT Branche, egal ob als Administrator oder Coder, immer etwas zu tun gibt. Dass sie damit vielleicht schon zu Studentenzeiten in eine Tretmühle geraten, die aus ihnen später den “Nerd” und damit weniger einen Familienmenschen machen, mag manches Klischee verstärken, begründet es aber nicht.

Da ist es- das gebe ich schon zu, gelegentlich etwas schwierig, sich als Frau wiederzufinden, insbesondere dann, wenn man selbst mit gewissen Ambitionen in der Branche unterwegs ist. Ich erinnere mich an einem Kollegen, der um ungefähr 4-5 Stunden verschobene Arbeitszeiten hatte. Während ich meist schon zwischen 7 und halb 8 im Büro war, kam er oft erst gegen mittags und wenn ich wieder ging, so gegen fünf Uhr nachmittags, dann war er erst zu Höchstformen aufgelaufen und programmierte noch Stunden weiter. Wenn es denn mal passierte, dass ich mit einem neuen Problem im Kopf nach Hause ging, über das ich abends nachdenken wollte und auf dem Weg noch Kinder einsammelte, passierte es gelegentlich, dass mich zu Hause eine Email erwartete.  Ja, er habe, meinte der Kollege, sich da schon mal Gedanken gemacht… Grund für mich innerlich die Wand hoch zu gehen… während ich an meinem eigenen Neid auf soviel Freiheit ein wenig erstickt bin. Heute, denke ich, können wir beide darüber lachen. Hoffe ich.

Der Punkt ist allerdings der, dass ich mich nicht mit einem Mann als Konkurrenz zu mir als Frau gemessen habe, sondern mit einem kinderlosen Menschen, der neben seinem Job wahrscheinlich deutlich weniger Verpflichtungen hatte.  Das ist ein Unterschied. Heute ist es durchaus Usus, dass sich auch Mann um die Kinder kümmert und sich entsprechend die Zeit so einteilt, dass Papasein mehr bedeutet als die Kinder beim Schlafen zu beobachten.

Es ist kein Frauen/Männer Problem. Es ist ein Kinderproblem und es ist damit ein gesellschaftliches Problem. Die größten Probleme, die ich während meines Studiums und auch beruflich erlebt habe, wenn es um Beruf und Familie gibt, waren durch kinderlose Frauen initiiert.
Und es tritt in der IT Branche genauso auf wie anderswo und trifft wahrscheinlich überall dort die Familienmenschen unter uns, die es mit Freaks, Künstlern oder Besessenen zu tun haben. Dass gerade die IT Branche durch die (aus meiner Sicht sagenhafte) Chance, sich ein Homeoffice einzurichten und viele Probleme internettig, Remote oder wie auch immer aus der Ferne anzugehen, macht zwar den Nerd noch nerdiger, die Freaks noch freakiger und die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit noch fließender. Aber sicherlich nicht die Arbeitsbedingungen noch schwieriger. Im Gegenteil: mir  beispielsweise ermöglicht es eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

So kann ich denn nur aus einer Warte heraus unterstreichen, was Frau Diel suggeriert, wenn sie schreibt:

Es gibt also keinen Grund, vor einem Job in der Informatik zurückzuschrecken, bloß weil man einen langen Abend auf dem Sofa mit einem  Glas Wein und dem Lieblings-Douglas-Adams-Band zu schätzen weiß oder an einem Samstagabend lieber auf der Tanzfläche (oder auch daheim bei einem verschnupften Fünfjährigen) verbringt als im Serverraum im doppelten Boden.

Es ist viel allgemeingültiger zu fassen, finde ich. Ganz abgesehen davon möchte ich noch vermuten, die, die Douglas Adams liest (und dabei nicht ratlos den Kopf schüttelt),  schreckt vor allem möglichen zurück, aber nicht vor einem Serverraum ;-) Denn die, die sich freiwillig in die Nachtschicht begeben, das sind dann wieder vorwiegend die Kinderlosen, die Singles.

In den Köpfen der Gesellschaft mag der IT Profi vielleicht ein Spinner sein, aber bei Kollegen, so glaube ich, haben sich die meisten Klischees dann doch überholt.

Die Köpfe vieler Frauen

Es ist aber noch etwas anderes und das halte ich für IT spezifisch: ein Problem, das sich in den Köpfen vieler Frauen abspielt.

Immer noch ist es zu beobachten, dass Frau sich fast ein wenig stolz damit zu brüsten versucht, keinerlei Ahnung von Computern und Internet zu haben.  Es gehört fast ein bisschen zum guten Ton, möchte man da bei der ein oder anderen (insbesondere bei Müttern) meinen - dieses gepflegte Desinteresse für alles, was “technisch” ist. Dass dieser naive Umgang mit der Technik kein bisschen mehr sexy macht, im Gegenteil dazu beiträgt, Frau eher in die Riege weltfremder Dummchen abzuschieben, scheint dort noch nicht angekommen. Ebenso scheint nicht angekommen, dass es einem dann doch einen Kick verpassen kann.

Der Computer, das Internet, in den Augen vor allem vieler Mütter das Pseudonym für das Böse, das Unberechenbare und insgesamt vor allem eines: eine Gefahr für die eigenen Kinder, wenn es um Spielsucht und Konsumwahn geht.  Die Mütter, die “mal eine Emailschreiben” mit “ich bin auch im Internet” gleichsetzen, jammern, wenn “das Internet kaputt” ist und youtube mit einer Zahnpasta verwechseln, haben meist vor allem eines vor Augen: die eigenen Kinder vor dieser virtuellen Welt zu schützen. Meine Kinder, die heute selbstverständlich mit dem Computer und dem Internet aufwachsen, den Rechner als Hilfsmittel und das Internet als das Informationsmedium und den Wissenspool schlechthin kennenlernen, mögen diesen Frauen suspekt sein. Ich wahrscheinlich auch…

Demgegenüber stehen, um auch die andere, extreme Seite noch zu beleuchten, die, die ich mal “Karrierefrauen” nennen will. Frauen, die sich gerne beweisen wollen, sich bewusst gegen den “Störfaktor” oder vermeintlichen “Karrierekiller” Kind entscheiden und dann  gelegentlich zu merken scheinen, dass es anders auch gehen könnte. Es zählt nämlich wie überall vorwiegend der Wille, sich durchzubeißen. Die Fronten an dieser Stelle sind für mich wesentlich härter als alle anderen.

Wehe der Frau, die sich abseits jeglicher Gender Mainstreaming Initiativen einfach nur als Mensch sieht…

Es ist auch hier ein gesellschaftliches Problem und das eines Frauenbilds, das sich offensichtlich vorwiegend in den Köpfen vieler Frauen selbst abspielt.

 

3 Antworten zum Beitrag “Von Nerds und Nerdinen”

  1. am 29 Mai 09 um 23:50 meint

    Verena

    Guter Artikel!
    Für Nerdinen ist es allerdings ziemlich schwierig zu verstehen, warum es nicht mehr von uns gibt … ;-)
    In den USA ist ja das Internet als sozialer Raum bereits fester Bestandteil der Lebenswelt, für Frauen und Männer gleichermaßen. Sobald Frauen hier in ihrer (beruflichen) Lebenswelt damit zu tun haben, fangen sie ja auch oft Feuer und genießen den digitalen Austausch. Aber ohne einen solchen Anlass, da fehlt ihnen die Lust an technischen Spielereien. Ich erlebe viele Frauen, die extrem wenig selbstbestimmte Zeit - ‘Spielzeit’ - haben, gerade wegen des Spagats Familie-Job.

  2. am 30 Mai 09 um 19:24 meint

    Wolfgang

    Eine sehr schöne Analyse, so habe ich es noch nicht gesehen. Ich hatte auch schon meinen leichten Nerd-Phasen (aber TKK-Pizza und Cola muss es nun ja nicht sein, Kaffee und Zigaretten reichen doch völlig ;-), bin aber auch sehr gerne Papa. Habe aber durchaus die beschriebenen Phasen gehabt, wo ich meinen Sohn in der Woche nur schlafend gesehen habe.

    Aber wenn unsere (ansonsten durchaus beachtlich agierende Familienministerin) sich nur um den so völlig untauglichen Versuch kümmert, der Kinderpornographie im Internet Herr zu werden, dann hat sie natürlich nicht genug Zeit für Politik, die Deutschland kinderfreundlicher macht. Ein bisschen reisen nach Frankreich, die Benelux-Länder und Skandinavien würde ihr da vielleicht ein wenig die Augen öffnen.

    Anyway, schöner Artikel!

  3. am 30 Mai 09 um 19:29 meint

    Anne-Kathrin

    Wolfgang, lach nicht, den Artikel meines Wunsch nach einem Gespräch unter Müttern ist schon in Arbeit ;-)

Auch was dazu sagen?