Im Angesicht des Usability Problems

Nicht in jedem Projekt gelingt es mir, die Themen Usability und auch User Experience so richtig an den Mann oder die Frau zu bringen - auch wenn ich mir das natürlich anders wünschen würde.
Dieser Tage habe ich das neue, wieder einmal erfrischend locker geschriebene Buch von Steve Krug gelesen “Rocket Surgery made easy” (auch einsetzbar als Urlaubslektüre!) - für mich der Anlass, wieder einmal etwas über ein Buch zu schreiben und ebenso, wieder einmal darüber nachzudenken, wie man mehr für das Thema sensibilisieren könnte und warum nicht nur Usability sondern auch Usability Tests so wichtig sind.

Usability: von Glaubensfragen

Es ist nicht immer eine Budget-Frage (ein legitimer, wenn auch kein vernünftiger Grund auf Usability Überlegungen und Tests zu verzichten), sondern gelegentlich auch eine Glaubensfrage.
Es existieren viele Mythen zum Thema und so manifestieren sich hier und da einige Fehleinschätzungen wie beispielsweise:

  • Usability sei nur etwas für die Dummen (und die spreche man schließlich nicht an)
  • Wenn man seine eigene Website verstünde, gälte das automatisch auch für alle Besucher
  • Es sei vor allem eine Frage der Ästhetik und wenn einem das gefalle, sei das auch benutzbar
  • vor allem aber sei Usability gänzlich überbewertet…

Ich bin gedanklich mal wieder im “kleinen Projekt” - es gibt dort keinen Usability-Beauftragten. Es gibt nur Auftraggeber und Entwickler. Hier prallen die Überzeugungen beider Seiten gerne mal aufeinander. Man muss sich dabei auch klar machen, dass jede der beiden Seiten natürlich subjektiv argumentiert. Der Auftraggeber hat seine Wünsche und Vorstellungen, der Entwickler verfügt über Praxiswissen und mehr oder weniger großes Know How. Umso wichtiger: Usability Tests.

Denn: Es fehlt der neutrale Beobachter, der helfen könnte, wirkliche Probleme zu erkennen, vor allem aber plausibel zu machen und auch gegebenenfalls eine festgefahrene Usability-Diskussion zu entspannen. Es geht schließlich um Verbesserung.

Interessanterweise übrigens sind einige Usability Tipps beziehungsweise Grundsätze auch solche, die vom Gelegenheitsbenutzer oft ganz anders empfunden werden. Kürzlich hatte ich ein Vorgespräch, in dem es auch um Lesbarkeit von Texten ging (recht dazu). Ich war überrascht über das konstruktive Gespräch und ebenso darüber, dass mein Gegenüber genauso überrascht war, von dem was ich so erzählte. Er hatte vielleicht nie darüber nachgedacht, dass es Menschen gibt, die sich bis ins Detail solchen Fragestellungen widmen und war recht dankbar.

So geht es also auch und damit hätte man, wenn man Usability von Beginn an zum Thema macht, schon das ein oder andere Problem im Griff. Was aber, wenn die Usability Vorurteile zuschlagen? Inklusive eines “Usability Tests sind teuer?”

Krugs “Rocket Surgery” Vorschläge

Steve Krugs Methode ist so simpel wie effektiv: er schlägt iterative Test-Zyklen mit wenigen Benutzern vor. Schnell geplant, schnell umgesetzt und vor allem relativ kostengünstig (genaueres dazu in seinem Buch).  Übrigens bin ich der Meinung, dass man auch bei der Ausstattung noch gut improvisieren kann und so mit dem Budget schon irgendwie über die Runden kommt. Das Ganze vor allem ohne externes Usability Lab. Ideal also für das “kleine Projekt”?

Wichtiger aber ist der Test-Modus selbst und ein ganz wesentlicher Aspekt: die Zuschauer.

Die Vorteile liegen auf der Hand:

  • Direktheit: es ist etwas anderes, den Benutzer bei der Bedienung zu beobachten und sein Feedback zu hören als das lediglich über Zahlen oder auf Papier zu bekommen, die man beispielsweise über Online-Usability Tests bekommt
  • Aufgaben: Krugs Testszenarien sind alle aufgabenbezogen und damit interaktiv. Genau das kann ein “statischer” Usability Test (ich versuche mich hier mal in einem Killerargument, dass soetwas wie ein 5 Second Test ja ausreichend wäre) nicht leisten und es entspricht neben dem Wohlfühlfaktor genau dem, was Benutzer so auf Websites machen: sie bewegen sich dort, sie suchen, sie lesen, sie finden.
  • Neutralität: die neutrale Testperson wirkt in jedem Fall unbefangen genug und darf (ja soll sogar) unverblümt die eigene Meinung sagen und genau so interagieren wie sie es für richtig hält
  • Objektivität: eine gelungene Mischung aus Testpersonen führt dazu, dass nicht nur das Argument “DAU” besser entkräftet werden sondern die eigene subjektive Einschätzung (auch des Designers!) in den Hintergrund rücken kann
  • Kreative Ideen: Oft sieht man ja selbst den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. In diesem Beobachtungs-Interview Szenario können sich da einige interessante Ideen auftun.

Usability von Beginn an zum Thema zu machen, ist das eine. Usability Fragen auch wirklich auf den Grund zu gehen, das andere.

Tja - so schön das auch alles ist, ist das Ganze noch lange kein Argument dafür, dass Usability auch den nötigen Stellenwert im Projekt bekommt.

Noch nicht überzeugt? Der Benefit für alle Beteiligten

Interessanterweise bringt Krug zwei ganz wesentliche weitere Aspekte: Die meisten Usability Tester machen ihren Job gerne und sie machen ihn noch lieber, wenn man sie “belohnt” (was beispielweise heißen kann “bezahlt” oder auch “beschenkt”) und ihnen ein nettes Ambiente schafft. Was dieses “Drumrum” für ein Unternehmen bedeuten kann, welche Chancen sich dahinter verbergen - da lohnt es sich vielleicht auch drüber nachzudenken…

Ach ja, nicht zu vergessen: die Nachbesprechungen in lockerer Runde…

Krugs Buch: lesenswert aus verschiedenen Gründen. Es geht nicht so sehr um das Was und Warum hinter dem Test, dafür schlägt er eine Reihe lesenswerter Bucher vor (und hat mit Don’t make me think selbst noch eines geschrieben). Es geht um Grundsätzliches. Vor allem aber schafft es der Autor zu vermitteln, dass das alles wirklich Spaß machen kann (ich gehe dabei mal davon aus, dass klar ist: Usability Probleme sollten nachher auch gelöst werden).

Ich überlege mir, ob der, der grundsätzlich bereits überzeugt ist, dass Usability Tests doch keine so schlechte Idee sind, und nur noch ein bisschen zweifelt, vielleicht mit einigen Marketingaspekten zu überreden ist? Ganz abgesehen davon: ein Usability Test kann ja auch zeigen, dass alles (realistisch gesehen “fast alles”) in Ordnung ist! Und was ist schöner als ein positives Feedback?

Steve Krug
Web Usability: Rocket Surgery Made Easy
Addison-Wesley (2010)

 

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