Es hat mit Intelligenz nichts zu tun

Usability Probleme erkennt man gelegentlich leider erst am praktischen Beispiel. Das ist natürlich unschön, schließlich hat man sich vorab bereits über so einiges Gedanken gemacht und besonders die Problemsituationen selbst und mit Testpersonen entsprechend durchgespielt.

Manche Probleme überraschen und zeigen vor allem eines: Es ist keine Frage der Intelligenz, wie man es gerne angesichts des unüberlegten Spruchs vom “dümmsten anzunehmenden User” annehmen würde, es ist eine Frage des Nutzungskontexts. Und so folgt wieder einmal ein Plädoyer für Personas beziehungsweise den Blick auf den Kontext.

Die Aufgabe nicht neu, vielleicht aber auch nicht alltäglich

Registrierte Benutzer einer Website bekommen eine Mail, in der ihre persönlichen Daten, unter anderem auch E-Mail Adresse und Benutzername aufgeführt sind.

Die Aufgabe ist nun, mit Hilfe der angegebenen E-Mail Adersse ein neues Passwort anzufordern und sich mit dem Usernamen (der nicht identisch mit der E-Mail Adresse ist) und dem neuen Passwort auf der Website eunzuloggen.

Alle Schritte können in einer Infomail genau beschrieben werden:

Zunächst muss die E-Mail Adresse eingegeben werden, an die wiederum automatisch generiert eine E-Mail mit dem Link zum Setzen eines neuen Passworts gesendet werden.
Über diesen Link setzt der User nun sein neues Passwort.
Er wird automatisch zur Login Seite weitergeleitet.

Dieses Verfahren ist typisch für viele Systeme mit Benutzerregistrierung. Im Prinzip erfolgen diese Schritte auch jedesmal dann, wenn Benutzer ihr Passwort vergessen haben.

Eigentlich alles ganz einfach, oder?

Im Lauf der Tests und Vorläufe zu diesem wichtigen Procedere begegneten uns eine Reihe ganz interessanter Probleme, an die ich zum Teil ganz einfach nicht gedacht hätte - alles übrigens keine Einzelfälle. Das Hauptproblem:

E-Mail Instruktionen werden nicht sorgfältig gelesen

E-Mails dieser Art werden offenbar gerne eher überflogen als gelesen und das auch, wenn die Texte gegliedert, nummeriert und Wichtiges Fett hervorgehoben ist. Das Verfahren Login oder Passwort Anforderung scheint so simpel und klar, dass die Informationen nicht als wichtig wahrgenommen werden.

Hinweise auf der Website selbst werden ebenfalls nicht sorgfältig gelesen

Alle in der E-Mail beschriebenen Schritte werden jeweils auf der Website noch einmal an entsprechender Stelle wiederholt: Was gibt es zu tun, was gibt es zu beachten und was passiert im nächsten Schritt. Eine solche Hilfestellung kann die Interaktion erleichtern, - muss aber nicht, denn auch hier gilt: Hinweise werden offenbar gerne eher überflogen als gelesen.

Internationalität: eine englischsprachige Website

Interessant waren die Probleme mit dem Konzept der Sicherheitsfrage - eine Avoid-Spam-Alternative zum Captcha. Im Englischen: Security Question. Diese Sicherheitsfrage muss zum Anfordern der E-Mail mit dem Passwort-Link beantwortet werden.

Im Eifer des Gefechts passierte es, dass “Security Question” mit “Password” verwechselt wurden, die Benutzer waren daraufhin irritiert, dass im entsprechenden Textfeld lediglich die Eingabe zweier Ziffern zulässig sind.
Dies passierte insbesondere bei nicht Muttersprachlern und wenn die Anforderung eines neuen Passworts zu bestimmten Tageszeiten erfolgte (spätabends oder nachts). Es zeigte sich außerdem, dass das Konzept der Sicherheitsfrage als Spamschutz offenbar nicht sonderlich bekannt ist.

E-Mail Adresse und Benutzername

Ein entscheidender Schritt der Aufgabe ist die Benutzung von E-Mail Adresse zum Passwort Anfordern und die des Usernamen und des neuen Passworts zum Login.
Dies kann zu Problemen führen, obwohl der Sachverhalt sowohl per Mail als auch auf der Login Seite mehrfach beschrieben ist.

Vielfach wurde trotz Instruktionen und entsprechendem Hinweis im Label statt des Benutzernamens die E-Mail-Adresse als Login-Name verwendet, was natürlich zu Fehlern führte, weil der entsprechende Benutzer nicht gefunden werden konnte.

Wieder etwas gelernt

Wieder etwas gelernt. Das Wichtige aber sind insbesondere Lösungswege, um es Benutzern leichter zu machen, mit einer Website zu interagieren.

Es hat nichts mit Intelligenz zu tun - es geht um den Kontext

Eine durchgängige Analyse von Benutzern und Benutzergruppen kann helfen, Fehler zu vermeiden.
Hier beispielsweise war es die Berücksichtigung der für die Benutzergruppe typischen Stresssituationen, die mit Sicherheit für Fehler verantwortlich sind, die im normalen “stressfreien Bedienszenario” gar nicht vorgekommen wären: Sicherlich kann man beispielsweise davon ausgehen, dass erwachsene Menschen 3+8 addieren können…

Personas können helfen, verschiedene Nutzertypen auszumachen.

Erklären, erklären, erklären

Dass E-Mails mit wichtigen Informationen nicht sauber gelesen werden, ist sicherlich ein Problem, mit dem wir ja auch auf Websites generell zu kämpfen haben. Trotzdem ist das keine Ausrede: Abläufe müssen erklärt und erläutert werden.

Denkbar sind beispielsweise kurze, gegliederte Instruktionen im Kontext und Erläuterungen zusätzlich zu Labels von Eingabefeldern. Ein FAQ Bereich kann weitere Fragen klären.

Struktur

Sowohl E-Mails als auch Erklärungstexte müssen strukturiert werden. 1. -2.- 3. oder eine Reihe “knackiger” Überschriften. Dies hilft wahrscheinlich nicht gegen das Querlesen, unterstützt aber die schnellere Wahrnehmung auch beim “Drüberfliegen”.

Sprache

Gerade bei internationalen Websites (auf der eben auch nicht-Muttersprachler agieren) ist es wichtig, die Sprache so einfach wie möglich zu halten, um sprachliche Unklarheiten weitestgehend zu vermeiden. Viele Begrifflichkeiten verwirren eher als dass sie helfen.

Verbesserungen und Ergänzungen an diesen Stellen konnte die Fehlerquote deutlich reduzieren.

Fazit

Den DAU - es mag ihn geben, bei genauerer Betrachtung allerdings lässt sich vieles auf den Nutzungskontext und auf andere Faktoren zurückführen, die man als Entwickler oder Designer einfach übersieht oder mit “das sind ja intelligente Leute” abtut.

Nutzungskontext wie Stresssituation (und damit eventuell Fehleinschätzungen oder Unkonzentriertheit), unglücklich gewählte Tageszeit (und damit eventuell Übermüdung?), fremde Sprache und andere Faktoren können durchaus dazu beitragen, dass einfache Aufgaben plötzlich zu einem Problem werden können.

Sich der Probleme auch anzunehmen, Fehlern auf den Grund zu gehen und auch mal nachzubohren, ist eine interessante Sache, hilft den Usern und trägt dazu bei, dass auch wir noch etwas lernen können. Insbesondere aber hilft es hoffentlich, diese Mär vom DAU endlich in der Versenkung verschwinden lassen zu können.

 

2 Antworten zum Beitrag “Es hat mit Intelligenz nichts zu tun”

  1. am 26 Apr 11 um 10:51 meint

    [...] Anne-Kathrin Merz hat auf ihrem Blog medamind mit dem Themenkomplex, dass der User trotz vermeintlich bester Instruktionstexte die Website einfach nicht verstehen will bzw. sie schlichtweg falsch benutzt. In solchen Fällen spricht der Experte gerne mal vom DAU … dem Dümmsten Anzunehmenden User. Doch Anne-Kathrin Merz kontert: Es hat mit Intelligenz nichts zu tun. [...]

  2. am 26 Apr 11 um 23:10 meint

    Lehrreicher Beitrag. Bereichernd, wenn man das Thema auch mal aus einer anderen Perspektive ansehen kann.

Auch was dazu sagen?