Die agilen Pros

Agile Entwicklungsprozesse - bei der Softwareentwicklung oder auch im Webdesign (was noch im Detail zu klären wäre) wirken auf den ersten Blick attraktiv. Zu recht. Aber wo liegen nun die Vorteile?

Und sind die Vorteile dann wirklich haltbar- gerade im Webdesign? Gelten sie auch noch im Projekt mit weniger Manpower? Ein Blick aufs Webdesign mit den typischen Fragen, die sich Dienstleister und Kunde vielleicht stellen könnten.

“Erstmal braucht es eine Analyse und dann ein Konzept.” Das wird jeder sagen, der Websites oder Software entwickelt. Und schon ist man mitten im altherkömmlichen Wasserfallmodell mit seiner strikten Vorgehensweise und dem strengen Ablauf. Zwar entwickelte sich das Wasserfallmodells urspünglich aus der Idee, einen iterativen Ansatz bereitzustellen, de facto macht aber die Trennung in die Ebenen Analyse, Design, Implementierung, Test und Launch einen recht starren Eindruck und schafft wenig Flexibilität, fordert dafür aber umso mehr theorielastige Überlegungen gerade zu Beginn des Projekts.

Es sind  oft der Wunsch des Kunden nach einem Fixpreisangebot (eine Sache, die meines Erachtens kaum mehr möglich ist, heutzutage) wie auch vielleicht der Sicherheitsgedanke des Entwicklers  , die einen zu dieser Vorgehensweise zwingen. Immerhin kann man nachher sagen, man befände sich schon in der Implementierungsphase  oder das Design sei fertig und so weiter und so fort- neue Wünsche, neue Kalkulation. Ein Teufelskreis eigentlich. Und vielleicht liegt die Lösung ja im agilen Ansatz. Vielleicht? Warum? Ich versuch es mal…

Meine Überlegungen sind inspiriert aus Peter Merholz et.al. “Subject To Change”.

Kosten

Zeit ist der etwas unkalkulierbare Faktor des agilen Ansatzes. Der Grund ist einfach: Agile Entwicklungsprozesse sind iterativ. Ein etwas abschreckendes Kriterium für den ein oder anderen. Und trotzdem kann die agile Vorgehensweise günstiger sein, denn jegliche Fehlkonzeption fällt genau durch diesen iterativen Ansatz sowie eine nicht-existente  Detailspezifikation, an der strikt festgehalten wird, sehr schnell auf und kann entsprechend zu einem Zeitpunkt geändert werden, der relativ geringe Folgekosten nach sich zieht.

Die Frage ist: zieht dieses typische Argument der Softwareentwicklung (ich hatte einmal geschrieben, gelesen zu haben, der Faktor für ein Re-Design potenziere sich mit jedem Entwicklungsschritt um den Faktor 10 - und halte das für durchaus realistisch) auch im Webdesign? Gibt es Fehler, die sich eklatant auswirken? Ich meine, es ist mindestens alles, das mit Usability zu tun hat, aber auch mit Informationsarchitekturen. Es ist durchaus möglich, entsprechende Tests auch schon im frühen Entwicklungsstadium zu machen.

Dokumentation

Agile Entwicklungsprozesse leben von geringem Dokumentationsaufwand und von in deutlich höherem Maß dem Erzielen von Ergebnissen, sprich dem “machen”. Agile - das ersetzt Dokumentation durch Kommunikation und Prototyping. Dokumentation ist ein Zeitfresser - wir wissen das - und Dokumentation ist vor allem in größeren Teams mit unterschiedlichen Aufgabengebieten unumgänglich. Im kleineren Projekt mit einem Entscheider auf der einen und einem Entwickler auf der anderen Seite spielt Dokumentation in den einzelnen Phasen des Projekts hinsichtlich der Absprache einzelner Teams und der Dokumentation keine oder nur eine marginale Rolle.

Sicherlich gilt aber auch im kleinen Projekt (oder sogar vor allem im kleinen Projekt?): Kommunikation ist alles. Dokumentation? Was heißt das schon im Face-To-Face Projekt? Der Entwickler schreibt, der Kunde liest, versteht aber unter Umständen nicht alles. Dokumentation zur Laufzeit also eher ein Zeitkiller mit Sicherheitseffekt. Nicht mehr, nicht weniger.

What you really need

Wir kennen das: der Kunde hat viele Ideen. Das ist gut so, aber nicht alles ist sinnvoll und nicht alles hat Priorität 1. Manches ist sogar nur eine spontane Idee.

Agile Methoden können etwas besser sicherstellen, dass nur das implementiert wird, was auch wirklich nötig ist und eben nicht alles, was irgendwann, meist bereits Wochen vorher, in einem Pflichtenheft festgehalten wurde. Ganz klar ein Mehrwert finanzieller Art - auch im Webdesign. Einen netten, wenn auch recht provokanten Satz hatte ich irgendwann gelesen “let the customer be your memory”. Der agile Ansatz entschäft das Ganze etwas - der Effekt ist ähnlich. Mit Vorteilen auf beiden Seiten.

Natürlich kann umgekehrt auch der Fall passieren, dass neue Features hinzukommen. Trotz allem ein Benefit, denn die Funktionalität, die explizit gewünscht und dann (und hier liegt die Betonung!) auch eingehend besprochen und kalkuliert  wird, ist es dann meist auch wirklich wert.

Passt noch alles?

Manchmal haben es Projekte so an sich, sich zu ziehen. Nicht aus Unvermögen, nicht aus Böswilligkeit - sondern aus einem unglücklichen Zusammenspiel verschiedener Faktoren. Aber gelegentlich ist damit dann auch das ein oder andere nicht mehr Up-To-Date, entspricht nicht mehr den Anforderungen oder nicht mehr dem Zeitgeist. Und dann gibt es eventuell auch noch die Konkurrenz, die  schneller ist.

Auch dies eher Punkt, der das “große Software” Projekt betrifft als das Webprojekt (auch wenn sich diese ebenfalls gerne mal in die Länge ziehen). Trotz allem: auch das “agile Webprojekt” spielt an dieser Stelle seine Stärken aus, da Unternehmensanforderungen häufig nicht so präzise formuliert werden können, wie dies laut Wasserfall Modell notwendig wäre.

An dieser Stelle komme ich dann doch nicht ohne Kritikpunkt aus - oder ich muss feststellen, dass genau dies ein Punkt ist, der ausschließlich bei umfangreichen, zeitintensiven Projekten Geltung findet… Ist nicht gerade das Agile etwas, das ein Projekt vorantreibt? Ist es nicht genau die Kommunikation etwas, das längeren Entwicklungspausen entgegenwirken sollte? Und ist nicht der kontinuierliche Prozess Grundlage des Agilen? Nein - für mich ist dieses Argument nicht auf eine kleine Website anwendbar.

Fazit?

Ich hatte schon einiges rund um das Thema User Experience und Agile Vorgehensweisen geschrieben. Zu einem letztendlichen Schluss bin ich noch nicht gekommen. Insbesondere sehe ich einen wesentlichen Faktor, der  den Erfolg eines agilen Projekts mitbestimmt: der Kunde. Der muss nämlich nicht nur wollen sondern auch aktiv mitmachen. Agile - nichts für jemanden, der sich vor dem Denken drücken möchte! Es gibt natürlich eine Reihe weiterer, überdenkenswerter Faktoren. Auch: “kann der Kunde das überhaupt leisten?” - im kleinen Projekt. Und hier sind wir dann wieder  beim Service Design im Webdesign und der Customer Experience…

Bis dahin: eine Chance bietet das Agile auf jeden Fall.

 

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