Freelancer ist ein ganz normaler Job

Ja, so ganz ohne Familie fänd ich es wahrscheinlich sehr reizvoll, das Freelancen: dann arbeiten, wann ich will, gespickt mit der nötigen Portion Freizeit und auch Freiheit - ich, mein eigener Chef.

Eine einseitige Sichtweise, denn erstens ist es so einfach dann doch wieder nicht und zweitens berücksichtigt es einen wichtigen Aspekt nicht: der ohne Kinder oder Familienwunsch, hat die Freiheit, sich heute den unmöglichsten Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen anzupassen.

Wieder einmal zeigt sich ein gesellschaftliches Phänomen(?), das ich kürzlich schon angesprochen hatte: das zwischen kinderlosen Menschen und denen mit Familie. Man meint, auf der einen Seite herrsche die Leichtigkeit des Lebens, die Selbstverständlichkeit der Freiheit, sorglos trotz … ja trotz Rezession?, während auf der anderen Seite Disziplin und Organisationstalent vorherrschen und der ungebrochene Wille, einfach das Beste draus zu machen.

Es “rockt”, ein Freelancer zu sein. Aha. Vielleicht fehlt mir ja das Zeug zum “Webenthusiasten”? , ein Freelancer zu sein? Das erste, was mich wirklich ärgert, ist mal wieder der Fehler, den man bei vielen 10 Punkte Listen findet: mindestens ein Punkt ist mehr als redundant. “Sein eigener Chef sein” - und die Begründung dafür findet sich in anderen der 9 Punkte und fasst damit einfach nochmal schnell zusammen. Warum also 10 Punkte Listen, wenn man keine 10 Punkte findet? Aber ich geb Euch den zehnten Punkt: Selbstständigkeit lässt sich gut mit einer Familie vereinbaren. Nicht mit Freizeit, nicht mit Privatleben. Mit Familie.

Leider, das muss an dieser Stelle mal gesagt werden, macht es die 9 anderen Punkte wiederum hinfällig und zeigt damit die einseitige Sichtweise der Dinge, aber auch die Gefahr, sich hier etwas vorzumachen, das in der ganz normalen Realität fast ausschließlich denen vorbehalten ist, die sich niemandem verpflichtet fühlen.

  1. Arbeiten, dann, wenn man möchte, aufstehen und ins Bett gehen, wenn man möchte. Das geht natürlich nur ohne Kinder. Mit Kindern arbeitet man dann, wenn sie im Kindergarten sind, in der Schule oder im Bett.
  2. Eigene Stundensätze festlegen. Wir wollen uns alle nicht unter Wert verkaufen. Wer sich allerdings (überzogen formuliert) mehr als eine Tiefkühlpizza, eine Schachtel Zigaretten und ein paar Kaffees pro Tag leisten können muss, der ist alles in allem wenig flexibel, was den Stundensatz oder den Wert eines Projekts betrifft.
  3. Der Erfolg liegt in den eigenen Händen. Stimmt. Klar. Nur mit Familie gibt es keine Alternative. Es muss, es muss, es muss. Und da Erfolg auch wieder viel mit Engagement und Zeit zu tun hat, ist der Erfolg hart erkauft, nämlich mit Arbeit und Organisationstalent.
  4. Mach das, was dir Spaß und Freude macht. Na prima! So würde ich garantiert nicht das verdienen, was ich verdienen muss. Man darf sich auch mal zu schade sein, - aber die Disziplin, auch etwas zu arbeiten, das keinen Spaß macht, vor allem aber die Flexibilität aufzubringen, auf den ein oder anderen zug aufzuspringen, weil er erfolgsversprechend wirkt, braucht es.
  5. Arbeiten überall wo man möchte. Der Traum, zugegeben. Aber leider nur realisierbar für die, die keinerlei Verpflichtungen haben. Ich arbeite dort, wo meine Kinder sind. Flexibel ist etwas anderes. Arbeiten, wo man gerade muss, trifft es aus meiner Perspektive wesentlich besser.
  6. Niedrige laufende Kosten. Dieses Argument zählt schon allein deshalb nicht, weil es mich als Angestellter (glücklicherweise?) nicht interessieren muss. Es ist auch aus einem anderen Grund schlicht nicht haltbar: eine unbedacht ausgewählte Ausstattung kann kontraproduktiv sein. Der Freelancer ist nämlich auf eines besonders angewiesen und das ist eine funktionstüchtige, leistungsstarke und verlässliche Infrastruktur. Vor allem technisch.
  7. Freiheit der Balance zwischen Arbeit und Privatleben. Da kann die alleinerziehende Mutter nur müde lächeln… Meine Arbeitszeiten suche ich mir selten mal freiwillig aus.
  8. Chancen und Gelegenheiten. Lernen kann man viel. Man kann auch viele Menschen kennenlernen. Das alles erfordert aber zweierlei: Zeit und räumliche Flexibilität. Auch wer mit Familie freelanct, wird jede nur erdenkliche Gelegenheit beim Schopf packen. Allerdings nur organisiert - und da hört der Spaß auch oft schon wieder auf.
  9. Entspannter Lifestyle. Spätestens an diesem Punkt offenbart sich die Unkenntnis der kinderlosen “jungen Wilden”, wenn ich ganz frech bin, nenne ich es mangelndes Vermögen, vorauszuschauen. Was ist Lifestyle überhaupt? Wahrscheinlich habe ich keinen “Lifestyle”, denn ich hänge nicht genug in Cafes ab und gehe abends zu wenig in die Dizze. Ich laufe zwar nicht herum wie ein Waldschrat und lege durchaus darauf wert, immer so ein bisschen am Zahn der Zeit zu sein, aber ich mache nicht jeden hippen Trend mit - insbesondere kann ich mir das nicht leisten, denn alles, was ich habe teile ich durch vier plus einen Hund.
  10. … lässt sich besser mit einer Familie vereinbaren.

Um nicht das Gefühl aufkommen zu lassen, ich wäre nicht gerne freiberuflich tätig: ich bin gerne ein freier Mensch und ich genieße meine berufliche Unabhängigkeit sehr. Mein letztendlicher Kick, das auch wirklich durchzuziehen und nicht auf die sichere(?) Seite zu wechseln, auf der ich wenigstens (pro forma) in eine Rentenversicherung einzahle und so weiter, sind vor allem die Kinder. Denn ich müsste deutlich mehr Kosten für Kindebetreuung in Kauf nehmen, ich könnte sie nicht mal schnell von der Schule abholen, ich könnte nicht mal schnell in die Sprechstunde gehen, wenn es “brennt”, ich könnte nicht so ohne Weiteres zu Hause bleiben, wenn sie krank sind - und ich könnte nicht mit ihnen gemeinsam an einem Tisch sitzen, sie mit den Hausaufgaben, ich arbeitenderweise. Uns würde eine Menge Gemeinschaft fehlen…

Freelancen - ein ganz normaler Job in meinen Augen. Keiner zum “Lockernehmen”, sondern einer, der an eine Menge Verantwortung und vorausschauendes Denken gekoppelt ist.

An dieser Stelle herzlichen Dank an meine Mutter, denn sie ermöglicht es mir, wenigstens noch ein paar der richtigen Benefits mitnehmen zu können.

 

3 Antworten zum Beitrag “Freelancer ist ein ganz normaler Job”

  1. am 14 Jun 09 um 19:07 meint

    Wolfgang

    “gesprickt “? Zuviel der Ehre ;-)

  2. am 14 Jun 09 um 19:20 meint

    Anne-Kathrin

    Da hast du dann allerdings recht ;-) - Update…

  3. am 19 Jun 09 um 19:07 meint

    Toll!
    Der Beste Beitrag den ich bisher zum Thema Freelancer/Familie gelesen habe.
    Auch wenn ich kein Alleinerzieher bin, treffen alle Punkte so zu wie du Sie beschreibst.

    Auch wenn es ein hartes Brot ist , wenn man mehr MIT seiner Familie leben möchte ist es eine gute Entscheidung Freelancer zu sein. Trotzdem ich gegenüber meinen vorigen Festanstellungen den Gürtel massiv!! enger schnallen muss habe ich meine Entscheidung nicht bereut.

    Lg
    Walter

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