Klick mich! - ich bin der Back Button

Wer gelegentlich den “ganz normalen User” beim Umgang mit Rechner, Browser und Internet beobachtet, wird gerne mal ungeduldig. Zumindest aber wird er verwundert sein. Verwundert darüber, wie langsam und wie umständlich bedient und navigiert wird - in unseren Augen, mit unserer Messlatte. Und dass genau das überhaupt kein Problem darstellt. Es ist normal, in Kauf genommen. Die Macht der Gewohnheit.

An solche Momente musste ich kürzlich denken, als ich eine Breadcrumb Navigation in einen Entwurf und später dann auch in das Template eingebunden habe - dessen grundsätzlicher Sinn in diesem konkreten Fall übrigens nicht in Frage gestellt werden soll, sondern nur den Aufhänger für ein paar Überlegungen spielt.

Breadcrumb - ein komischer Begriff. Pathway gefällt mir doch deutlich besser, denn es ist nichts anderes als ein Pfad vom Hauptast zu einem kleinen untergeordneten Astspitzchen in der Gesamtstruktur.

Mir fiel dann während der Implementierung auf, wie seltsam so ein Breadcrumb wirkt, so lange man sich als Nutzer in den “dicken” Ästen, also relativ zu Beginn der Hierarchie aufhält. Ich hatte dem Ganzen, da es sich um eine Website mit sehr inhomogener Benutzergruppe und einer zu erwartenden Altersgruppe auch deutlich jenseits der 50 handelte, noch eine voranstellte Erläuterung der Form “Sie befinden sich hier…” eingefügt (auch das ist noch diskussionswürdig, mir fiel nur erst einmal schlicht nichts besseres ein). Bei vielen Pathways kann man die Startseite ausblenden - in diesem Fall irrelevant, da die Startseite ein komplett anderes Design hatte und auch keinen Pathway. Also gut. “Sie befinden sich hier: ‘über uns’ “. Eigentlich nicht sonderlich gelungen fand ich, denn genau dieses “über uns” ist ein paar Pixel drüber deutlich gehighlighted.  Da muss also was ganz anderes her, denke ich mir inzwischen und siniere ein wenig über Pathway Konzepte wie das von Apple. Aber das ist eine andere Geschichte.

Die Macht der Gewohnheit

Währenddessen wird mir etwas anderes klar: erkennen die Leute dann überhaupt noch, was das Ganze soll? Und nutzen Sies es überhaupt, dieses der Übersicht dienende, grundsätzlich benutzerfreundlich gedachte Konstrukt? Ich war in meinen Gedanken ganz schnell bei diesem ganz normalen User.

Was macht der “ganz normale User”? Der gibt URLs in das Suchfeld bei Google ein, statt in die Adressleiste. Er macht exzessiven Gebrauch von der Back-Taste des Browsers. Und er braucht (für meine Begriffe) sehr lange, sich in einem ganz normalen 5-6 Items großen Topmenü zurechtzufinden, während gleichzeitig der Mauszeiger in Schlangenlinien über den Bildschirm schwirrt, als sei er auf der Suche nach seinem Ziel. Und zurück geht es entweder über Back oder über Start. Start from the very beginning. Das ist der ganz normale Benutzer, der auf unsereins umständlich, behäbig und wenig orientiert wirkt.

… siegt dann auch noch, wenn…

Hier stellt sich dann doch eine interessante Frage hinsichtlich der kleinen Helferlein, die “ein bisschen mehr Usability” in das Ganze bringen sollen. Es geht weniger um Usability als Gesamtkonzept oder die ganz elementaren Frage (gibt es die, frage ich mich gerade?) , es geht um diese kleinen, aber netten Addons, die die Benutzung einer Seite etwas komfortabler machen sollen. Die Frage ist: wie kann ich als Webworker beim Kunden für Konzepte und Ideen werben, wenn dieser User selbst zu denen gehört, die diese Features überhaupt nicht nutzen würden? Wenn dieser User sogar das Argument anbringt, ja, das hätte er sowieso noch nie verstanden und fände das total überflüssig? Meistens hilft ja dann auch keine Erklärung mehr. Da kommt zwar das große Kopfnicken mit Aha Effekt - …so sei das, das sei ja schon irgendwie ganz praktisch… -, drei Minuten später beobachtet man denjenigen dann aber wieder in seinem eingefahrenen Trott.

Mir ist genau das schon wiederholt passiert: man brauche das nicht, es hätte einen sowieso schon immer ein wenig gestört, verstanden hätte man den Sinn und Zweck des Ganzen sowieso nie und jetzt, wo man eine eigene Website habe, sei es endlich an der Zeit alles besser zu machen und diesen ganzen Schnickschnack wegzulassen und wieder intuitiver an die Sache ranzugehen. Usability, das sei wohl eher eine akademische Erfindung. Und gleich kommt dann doch die Begründung, das letztendliche Killerargument, während ich aushole, meine ganzen guten Gründe aus dem Hirn zu kramen: die Freundin oder die Frau, die Stammtischrunde, die Kollegen,… wer auch immer, die seien übrigens auch dieser Meinung, - und das sei doch Grund genug, diesen ganzen Studien endlich mal keinen Glauben mehr zu schenken.

Das alles gilt nicht konkret für den Pathway. Es gilt für den Umgang mit Popups, mit externen Links, mit Schriftgrößen und Farben, mit Informationsstrukturen, mit Textlängen und Lesbarkeit. Der ganz normale User findet sicher immer mindestens ein schlagkräftiges Argument, das die Diskussion sehr schnell zu einer kurzen schmerzlosen leidvollen Sache macht. Austauschbar. Usability scheitert also am Nutzer? ;-)

Hilfe!?

“Ignoranz, blanke Ignoranz! Ich bin der Profi - was ich sage, hat Hand und Fuß!” schreit da mein Webworker Ego, während mein Gesicht wohl einen etwas ungläubigen Ausdruck annimmt und ich versuche, die Gratwanderung zwischen Kundenservice und persönlichem Anspruch diplomatisch in die richtige Richtung zu lenken. “Wer zahlt, schafft an… ist ja nicht mein Problem…” denkt die Pragmatikerin in mir und befiehlt den Weg des geringsten Widerstands. Und manchmal, da traue ich mich, irgendein “freches” Zitat anzubringen - das bringt’s gelegentlich, schafft aber nicht unbedingt das, was ich mir wünschen würde: Verständnis, Beratungswillen und Lernfähigkeit.

Die Frage bleibt also… und mir schwirrt so einiges im Kopf rum: wie will man den Sinn und Zweck eines Features “verkaufen”, wenn dieses Feature nicht ankommt, weil die Macht der Gewohnheit schon beim Gedanken daran siegt? Brauchen wir einen revolutionär anderen Browser, um beispielsweise innovative, wirklich intuitive Navigationskonzepte (besser als so ein Pathway…) an den Mann oder die Frau bringen zu können?

Ich weiß es nicht. Ein Glück, dass ich in diesem Projekt “Frau des Pathway” bin und mich nun lediglich darum kümmern muss, dass kein “seltsamer Eindruck” entsteht, solange man in der Hierarchie noch recht weit oben steht… und vielleicht mache ich hier ja auch alles mal ganz anders? Den Pathway find ich nämlich bei näherer Betrachtung eigentlich ziemlich langweilig…

Weiterhin arbeite ich daran, meinen Idealismus mit der Realität zusammenzubekommen. Nicht nur in der Theorie sondern auch in der Praxis.

 

7 Antworten zum Beitrag “Klick mich! - ich bin der Back Button”

  1. am 16 Jun 09 um 22:32 meint

    Ich kenne das gut… nur zu gut. Aber das Ablehnen solcher Features durch Auftraggeber oder ähnliche liegt schlicht an einem falschen Verständnis von Usability. Denn eine Usability kann nicht theoretisch geschaffen und erreicht werden. Wohl können Grundlagen geschaffen werden. Features eingebaut werden, von denen man weiß oder eher annimmt, dass sie das Bedienen der Anwendung einfacher machen. Ob sie die Usability wirklich vergrößern kann nur ein Test mit der Zielgruppe selbst zeigen.
    Dieser Test wird aber selten bis nie gemacht, denn man hat die Agentur ja schon damit beauftragt eine “usable Site” zu gestalten. Und das ist der Fehler: Nicht der Chef, der Auftraggeber oder wer auch immer bestimmt, ob ein Feature benutzt wird oder nicht. Der Benutzer tut dies und das kann nur durch Usability-Methoden eruiert und erforscht werden.
    Mit der Breadcrumb sprichst du das gleiche Problem an, wie mit der Sitemap. Auch wenn es der Auftraggeber nicht nutzt, ist das kein Grund sie nicht einzubauen. Wenn es nur ein Kunde nutzt und zum Ziel gelangt, ist schon viel mehr ausgesagt, als durch “mein Kollege, meine Frau, ihre Freundin…” ;o)

  2. am 17 Jun 09 um 11:57 meint

    “Wissenslücke beim Benutzer” nannte das eine Bekannte von mir, als ich Ihr darlegte, warum ich Links ungerne mit target=”_blank” versehe. Denn das mit dem Öffnen von Tabs über die Mausradtaste war ihr neu (weswegen sie bisher befürwortete, wenn Links sich automatisch neue Fenster schufen).
    Das ist natürlich irgendwie von Relevanz, wenn man ähnliche Wissenslücken bei der Zielgruppe ausmachen kann. Dennoch habe ich den Eindruck - oder besser: bin guter Hoffnung - dass sich das Wissen über solche praktischen Funktionen verbreitet und sich die Lücken schließen. Gerade auch durch das konsequente Einbauen der Funktionen. Es braucht halt nur etwas Zeit.

  3. am 18 Jun 09 um 07:30 meint

    [...] Anne macht sich darüber weitere Gedanken. Außerdem allgemein zum Thema, wie Usability bei Kunden und Nutzern ankommt (oder auch nicht?): Klick mich! – ich bin der Back Button. [...]

  4. am 18 Jun 09 um 13:31 meint

    Mathias

    Als Nichtprofi kenne ich diese Probleme trotzdem nur zu gut…es hat Jahre gedauert, meine Frau davon zu überzeugen, dass Browsen mit Tabs komfortabler ist als das Gegurke mit dem IE6. Die target_blank Diskussion hatt ich erst kürzlich mit einem Freund. Und da ich den Webshop meiner Firma betreue, habe ich regelmäßig Diskussionen mit meinem Chef über diese Themen. Claus hat es schon gesagt: man muss dem Auftraggeber klar machen, dass sein Surfverhalten und das seines Stammtisches eben nicht das einzig Mögliche ist…

    Ach ja, und Breadcrumb ist gar kein so komischer Begriff mehr, wenn man sich an Hänsel und Gretel erinnert :-)

  5. am 18 Jun 09 um 13:50 meint

    Anne-Kathrin

    Ich schreibe das - ich lese Euere Kommentare.
    Ihr habt recht , wir sind einer Meinung ;-)

    Und gleichzeitig lese ich seit gestern ein tolles Buch über User Experience und frage mich, ob wir wirklich versuchen sollten, den User “umzutrainieren”, zu “erziehen”, zu “verbessern” oder zu “perfektionieren”? Und eigentlich kommt auf diese Antwort ein klares Nein.
    Und schon drehe ich mich im Kreis :-)))
    Es ist ein schwieriges Thema… und ich glaube, es folgt bald ein neuer Artikel plus Buchbesprechung.

  6. am 19 Jun 09 um 14:13 meint

    Den Benutzer umerziehen, das wird nicht gehen und soll auch nicht gemacht werden. Das wäre eine Aufgabe für Sysiphus und der schiebt die Kugel bis heute den Berg hoch. Das Eingehen auf den Benutzer, das ist die richte Lösung.

    Freu’ mich schon auf die Buchbesprechung…

  7. am 21 Jan 10 um 14:30 meint

    super.

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