Manchmal stelle ich mir selbst ein Bein

Mein eigener Perfektionsanspruch ist etwas, das mir oft zur Stolperfalle wird - eine dumme Angewohnheit, die das Leben nicht leichter macht und nicht nur mich gelegentlich zur Verzweiflung treibt.

Die Wünsche und Sichtweise des Kunden sind nicht die eigenen. Ein täglicher Lernprozess. Immer wieder. Manchmal verändert das leider auch mit der Zeit ganze Projekte, wie der “Techniker” gelegentlich feststellen muss.

Ja, ich bin ein Perfektionist und ich bin auch anspruchsvoll. Wenn es um meine Arbeit geht, dann möchte ich das so gut wie möglich machen und damit auch die Weichen stellen, dass es so gut wie möglich weitergeführt wird, wenn das Projekt denn der Entwicklungsphase entschlüpft ist und produktiv gegangen ist. Genau das ist die Krux, genau hier fängt es an.

Ideen, lauter tolle Ideen…

Während ich so am Layout bzw. Design eines neuen Internetauftritts feile, finde ich  Dinge, die mir wichtig sind, aus Gründen der Ästhetik oder Konsistenz. Ich kommuniziere dies auch und wenn meine Ideen Anklang finden, dann ist das schön. Ich bastle also an Elementen, die genau das sichern sollen: tolle CSS Stile mit selbstbeschreibenden Namen wie “mittig_blau” oder “bild_klein_rahmen”, Vorlagen, deren Beschreibung und Benennung ebenso klar sein sollten, binde dies alles ein und freue mich auf den Tag, an dem mein Kunde das alles nutzen wird. Ich erkläre die Grundzüge der Bildbearbeitung, bringe Positiv,- und Negativbeispiele und erläutere, warum dieses und jenes sinnvoll ist. Ich erwähne dabei nicht, dass manches für mich von elementarer Tragweite ist - ein Fehler. Mein Fehler.

Endlich mal wieder ein Projekt, bei dem ich an alles gedacht habe und der Auftraggeber das auch noch toll findet, in dem mein Auspruch angekommen zu sein scheint. Ready to go und so gut konzipiert,  dass Validierung und Semantik auf Jahre kein Thema sein sollten.  Gut erklärt, x-mal geschult, Manual erstellt und bebildert, es kann losgehen.

Schon nach einiger Zeit stelle ich fest, dass manch gute Idee vielleicht mit einem Kopfnicken quittiert wurde, das weniger bedeutete als ich interpretiert oder aber vielleicht doch mehr offene Fragen zurückgelassen hat, als ich jemals vermutet hatte. Plötzlich nämlich werden meine Vorlagen nicht verwendet, meine Stile ebenso nicht. Der Websitebetreiber hat sich dazu entschlossen, dann doch seine eigenen Tabellen hinzufrickeln und lieber mal auf die Font Size zu klicken. Gleichzeitig finde ich die ersten Leerzeichen, die ersten Breaklines, die nichts tun als Elemente auszurichten - und das im Zweifel nicht besser als meine liebevoll gestalteten Vorlagen.

Nein, ich habe nicht vergessen, den Editor abzuspecken. Der Kunde wollte das nicht. “Machen Sie mich ruhig zum Administrator, ich mache schon nichts kaputt”.

Einige Zeit später kommt es zu ersten Problemen mit der Funktion. Wäre es nicht doch besser gewesen, das ein oder andere Administrative einfach nicht freizuschalten?

Wenn ich gebeten werde, das ein oder andere in Ordnung zu bringen, mache ich das natürlich gerne. Innerlich koche ich etwas versuche ich mich in Verständnis, ich erinnere noch einmal vorsichtig daran, dass es ja da Vorlagen und Formatierungen gäbe… aber ändern tut sich am ganzen Dilemma langfristig nur wenig. Es kommt nicht an. Schlimmer noch: viele “technische Schönheitsfehler” werden gar nicht wahrgenommen. Einige davon beseitige ich mal schnell im Vorbeigehen, während mir der Auftraggeber begeistert erzählt, wie glücklich er mit seinem neuen Webauftritt sei und wie viel Anerkennung er schon von Freunden, Bekannten und Kollegen bekommen habe.

Ich bin frustriert, resigniere. Irgendwo im Netz schwirrt da genau diese Seite als meine Referenz herum, vor allem aber war ich so zufrieden. Und nun liefern Validierungstools die ersten Warnungen, später die ersten Fehlermeldungen. Für den Kunden scheint das nicht wichtig. Der, ja seit jeher Administrator, hat sich inzwischen verselbstständigt und bastelt an seinem Internetauftritt, dessen Optik an einigen Stellen langsam überhaupt nicht mehr zu meinen ursprünglichen Überlegungen passt. Aber es gefällt. Gelegentlich meldet er sich, weil sich eine Idee nicht realisieren lässt oder aber weil eine überbreite Tabelle plötzlich Ärger macht.

Das Datenszenario

Schlimmer wird es, wenn es um Daten geht. Da bin ich geradezu pingelig. Ich nehme es genau. Daten sind für mich nicht wie Text. Daten sind exakt und so überlege ich mir dann auch, wie man die optimal speichert, beispielsweise in einer Datenbank, als XML - Thema Datenmodell.

Ich kümmere mich um Beispieldaten und alle sind rundum zufrieden. Es ist alles gut. Ich erläutere noch, warum so und nicht anders, warum beispielsweise eine zentrale Adressliste so günstig ist: es gibt nur eine Schreibweise. Keine Inkonsistenzen, keine Abenteuerlichkeiten. Ich bin froh, dass ich vor einiger Zeit auch in meinem Sharepoint Buch von Boddenberg dazu etwas gelesen habe:

[...] werden Sie aller Voraussicht nach mit dem Problem zu kämpfen haben, dass die Daten nicht vernünftig gruppiert werden können, da zu viele Schreibfehler oder Unterschiede in den Bezeichnungen sind.

Ich habe für jeden Fall vorgesorgt, dies natürlich auch besprochen, absegnen lassen. Eine tolle Sache. Alle sind glücklich, denn wichtige Botschaften sind angekommen. Die Validierung ist gesichert, es gibt Pflichtfelder, es gibt Automatismen.

Ich beginne zu zweifeln, als ich feststelle, dass es zwar mit der Einheitlichkeit gut klappt, aber die Einträge an sich fehlerhaft sind. Komischerweise ist das noch niemandem aufgefallen. Es ist nicht wichtig. Es klappt alles prima, höre ich. Man sei total zufrieden.

Ich beginne an mir zu zweifeln, als plötzlich die Vorgabe einer Liste um drei weitere Punkte erweitert werden soll bis hin zur zusätzlichen Freitexteingabe - schon sind wir wieder da, wo ich eigentlich weg und niemals wieder hin wollte. Es sollte doch alles besser werden, oder? Ich bin frustriert, als meine durchdachten Konzepte zum Teil entfernt werden sollen - es sei einfach zu restriktiv, man brauche da mehr Freiheiten. Ich möchte noch einwenden, dass… aber das verhallt ungehört. Egal, die Freiheit sei wichtiger, man achte da schon drauf.

Das gestellte Bein?

Der Anspruch, alles besser zu machen, ist nicht immer der Beste. Auch wenn die Botschaften durchaus ankommen, Vorschläge als gut befunden werden, auch die beachtenswerten Hinweise dankbar aufgenommen werden, überfordert vielleicht manch bester Vorschlag auch den besten Kunden.

Einerseits sollte ich vielleicht mal die Techniklastigkeit meiner Erläuterungen überdenken, überlege ich mir. Gelegentlich beißt sich hier allerdings die Katze in den eigenen Schwanz: gerade die trickreichen Überlegungen benötigen einige technische Erläuterungen, alternativ muss ich darauf verzichten. Oder aber der Kunde glaubt, es verstanden zu haben…

Andererseits - ha. Noch schlimmer? Sollte ich versuchen, den Auftraggeber dazu zu animieren, erstens den Arbeitsaufwand, zweitens die Anforderungen, auch die langfristigen, noch gründlicher zu überdenken? Ein schwieriges Kapitel. Was mache ich mit der fünf Minuten später eintrudelnden Email als Antwort auf mein “…ist nicht so klar, bitte überdenken Sie dies genau, bitte spielen Sie das mal gedanklich durch, besprechen Sie das bitte intern”?

Besser ist es dann doch, seinen eigenen Anspruch zurück zu schrauben, denke ich mir. Gar nicht erst mit der revolutionären, alles erschlagenden Variante zu kommen. Meine Güte, dann sieht die Websiteformatierung eben aus wie “Kraut und Rüben”, der Blick in den Code lässt mich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Dann stimmen eben die Daten nicht. Wenn der Brief nicht ankommt, nicht meine Angelegenheit? Solange meine Technik tut, was sie soll, solange die ursprünglich vereinbarten Regelungen und Best Practices eingehalten wurden, mache ich mir keinen Kopf.

Ich werde Pragmatiker. Nach vier Jahren der Selbstständigkeit kann mich kaum mehr etwas schocken, ich habe fast alles gesehen. Beflissen und geduldig kümmere ich mich weiter darum, dass die Schriften noch kleiner werden dürfen, auch wenn wir uns bereits bei empfundenen zwei Pixeln befinden, ich bearbeite ich Eigenregie noch schnell drei Bilder, wenn die Ladezeiten Richtung unendlich gehen. Ich entferne hard coded Anweisungen, Leerzeichen und Spaces. Ich verbessere im Vorbeigehen drei unterschiedliche Schreibweisen, entferne Duplikate in Listen, unbemerkt schreibe ich dann noch drei Hinweise in ein Formular.

Dass das Projekt eigentlich nicht mehr so ist, wie ursprünglich vorgesehen, dass sich hinter einigen kleinen Änderungen in meinen Augen komplette Paradigmenwechsel verbergen - na und? Der Pragmatiker sieht es gelassen.

Gleichzeitig denke ich mir, bin ich vielleicht manchmal genau so, wenn mir eben etwas nicht so wichtig ist oder ich mich im Stress befinde und schnell noch…

Ta-ta-ta-taaaa!!!

Der ganz normale Alltag. Der ganz normale Wahnsinn? Die Gefahr die ich sehe, ist dann leider doch eine andere: es ist durchaus der Qualitätsanspruch, der von mir erwartet wird. All das verlangt auch eine gewisse Verantwortung. Es soll schließlich klappen. Selbsterklärend. Automatisch. Sicher.

Die Erwartungshaltung ist hoch. Sehr hoch. Das Wissen um die Technik und vor allem deren Tücken ist an einigen Stellen hoch, an manchen gering. Mancher wünscht sich, man könne mit drei Handgriffen die Wunderwaffe zaubern. Manch einer ist entsetzlich enttäuscht, wenn das ein oder andere einfach nicht klappt. Man hätte doch gedacht, dass das einfach so geht… Dann gibt es leider - auch hier muss man realistisch sein- die, die ihren Kenntnisstand einfach falsch einschätzen.

Das “mentale Modell” des “Nichttechnikers” (auch hierzu demnächst unbedingt mal ein paar Worte!) ist der schwierigste Faktor des ganzen Projekts. Am liebsten würde ich gelegentlich wegschauen. Nach mit die Sintflut. Geht aber nicht. Soll auch nicht so sein. Was für unsereins eine Selbstverständlichkeit, ist für den User und den Auftraggeber oft nicht mal kommunizierbar oder aber es grenzt an ein Wunder. Was für unsereins wirklich tricky und bemerkenswert, ist für den User und den Auftraggeber eine Normalität. Wir sind leider zum Glück noch nicht da, wo der Computer die Gedanken seines Gegenübers lesen kann. Wir sind nicht bei “Scotty, beam me my handwritten document up!”

Es ist nicht nur die Kunst, es gut zu machen und “Chancen aufzuzeigen”, sondern gleichzeitig auch, Realismus zu predigen und realistisch zu bleiben… auch was den eigenen Perfektionsanspruch betrifft. Damit nicht nur der Kunde glücklich ist - der nämlich, wenn auch gelegentlich mit Umwegen, genau das bekommen hat, was er wollte.

 

Eine Antwort zum Beitrag “Manchmal stelle ich mir selbst ein Bein”

  1. am 25 Jan 09 um 18:19 meint

    Hallo,

    Kommt mir alles sehr bekannt vor. Wunderbar geschrieben, und äußerst lesenswert!

    Danke :)

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