Nur eine lifestylige Frage?

Es sind Ferien, Zeit mal im Sommerloch herumzustochern. Eine Meldung der letzten Tage, die mich glücklicherweise nur marginal interessiert: Elterngeld und Erziehungszeiten ändern offenbar die Tendenz nicht. Die Deutschen kriegen einfach keine Kinder (mehr). Wunderbar. Da spiel ich doch gleich mal die Quotenfrau. Ich bin nicht nur nicht kinderlos, wie 26% der Frauen meines Alters. Ich habe sogar deutlich mehr Kinder als der Durchschnittsdeutsche.

Einen interessanten Artikel veröffentlichte dieser Tage Heise und nennt es . Über den Begriff lässt sich  diskutieren.

Boykott, das bezeichnet ja dann doch ein Druckmittel. Keine Kinder also als Druckmittel gegen den Staat? Gegen die Politik? Oder gegen Frau von der Leyen, die glaubte, mit ein paar tausend Euro und ein paar Jahren staatgefördertem Windelwechseln und Babykrabbelgruppe auch für die Papas mal schnell unsere Gesellschaft umkrempeln zu können? Ein solcher “Boykott” bringts doch nicht und ich glaube auch nicht, dass das die Motivation meiner Mitstreiterinnen ist, keine Kinder zu bekommen. Von manchen weiß ich, dass sie sich noch Zeit lassen wollen (und es ist zu vermuten, dass sie dann irgendwann den Zeitpunkt verpassen). Von anderen weiß ich, dass sie einfach keine Kinder möchten. Und viele haben dann auch mehr oder weniger zufällig eines (ich habe mehr oder weniger zufällig drei). Die, die heute im Brustton der Überzeugung Kinder in die Welt setzen, sind in der Minderheit. Man ist entweder frisch verliebt oder kürzlich geschieden. Kinder spielen keine Rolle. Wer heute Ausgleich braucht, rennt ins Fitnessstudio oder kauft sich einen Hund.

Kinder sind allen gesellschaftsfähigen Äußerungen zum Trotz manchmal nicht sonderlich beliebt - anstrengend, laut und teuer. Sie kommen irgendwann in die Pubertät und erweisen sich als Zicken oder als Stoffel. Sie tragen komische Klamotten und hören unmögliche Musik. Und sie stören Karriere und Lifestyle. Wer als Eltern heute dann alles richtig falsch machen will, investiert schließlich Unsummen in Nachhilfe, Ergotherapie und gemeinsame Gesprächsrunden adipöser oder hyperaktiver Kinder. (Ich empfehle hierfür dringend eine aus dem aktuellen ZEIT Magazin!) - mit dem Erfolg total verkorkster Kinder, dafür aber unter Umständen einer bestimmt weniger gewollten Bestätigung aller derer, die Kinder schon immer als laut und unerzogen empfinden haben.
Und mehr als eines ist wahrscheinlich asozial, höchstens man hat sich dem alternativen Leben verschrieben, predigt ebenso alternative Verhütungsmethoden oder christliche Werte und kann damit etwas Mitleid heischen. Schon vor Jahren sagte ein vermeintlich recht sympathischer Mann zu mir: “Ach weißt du Anne, ein Kind ist ja noch ganz okay, aber zwei sind mir einfach zu viel…” - er sprach den letzten Satz schon fast in die Luft. Was will man da machen außer sich umdrehen und gehen? Na gut, ich kann es verstehen, ein Dreijähriger und eine Einjährige sind dann wirklich keine Konstellation, die einen sonderlich zur Ruhe kommen lässt. Dafür kannte ich vor Jahren sämtliche Baggermodelle der Firma Liebherr und konnte die Namen aller Teletubbies sogar rückwärts.

Der Heise Artikel bringt einen Aspekt, den ich auch schon mal angesprochen hatte:

Fragt sich nur, ob ein bisschen Elternurlaub nach der Geburt und eine Förderung, die bald wieder eingestellt wird, trotz weiter laufendem Kindergeld und abzusetzender Pauschale die Lust hebt, sich in das Abenteuer des “Glücks der Elternschaft” zu stürzen.

Tja, wisst Ihr, - gerade die Lust aufs Kind braucht’s. Abseits jeglicher finanziellen Anreize. Nicht nachdenken. Machen. Rational betrachtet fällt einem nämlich nach nur kurzem Nachrechnen sofort diese Milchmädchenrechnung auf. Das Elterngeld  ist irgendwann weg - im Zweifel braucht man es doch zum Leben und kann daraus keinen Bausparer machen, die Karriere hat inzwischen die kinderlose Kollegin oder besser der noch nicht im Papaglück schwelgende Kollege gemacht und irgendwie ist man permanent nur dran, hinterherzuhetzen und den Anschluss nicht zu verlieren… Ein vernünftiger Gedanke und man hakt das Thema ab.

Das Schlimme, das wirklich Schlimme ist, dass das Kinderkriegen, nicht aber das Kinderhaben finanziert und gefördert wird. Und das gerade von einer siebenfachen Mutter, die wahrscheinlich genau weiß, wie genussvoll man schwanger sein und kleine Babys in der Gegend herumkutschieren kann, der aber bestimmt nicht entgangen ist, dass die Wutzis eben auch mal groß werden und mehr Verantwortung abverlangen.

Vielleicht hilft da ja weiter. Die Zeitschrift für die modernen, urbanen Eltern von heute (und morgen). Lifestyle trotz Kind?  Kind trotz Lifestyle? Nido zeigt, wie es geht und bringt die wichtigen Themen des Alltags: Frau will wieder arbeiten, der Urlaub soll nicht spießig im Club und auch nicht öde im Wohnwagen stattfinden - da darf es dann schon eine Weltreise sein,  ah und natürlich auch Quotenartikel wie “Guter Sex trotz kleiner Kinder” (sollte das ein Problem sein, dann haben wir wahrscheinlich ein ernstes Problem). Erinnert das nicht extrem an eine lifestylige Hochglanzalternative zu Eltern - einer Zeitschrift, der heute wahrscheinlich schlicht zuviel pädagogisch wertvolles, insbesondere aber der Staub vergangener Elterngenerationen anhaftet?  Wirklich praxisorientiert erklären sie mir nicht, wie ich Kinder und Job alltagstauglich unter einen Hut bringen, wie ich eigentlich noch Zeit und Geld für eine Weltreise hernehmen soll und dass Arbeitenwollen und Arbeitenmüssen zwei Paar Stiefel sind. Erkauft Ihr Euch nur Euren urbanen Lifestyle, schmeißt Euer Geld den Psychiotherapeuten in den Rachen, deren Frauen dann ebenso lifestylig ihre Kids vom Geigenunterricht zum Ballett fahren und vormittags im In-Cafe lifestylige Gespräche mit anderen lifestyligen Müttern führen.

Lösen wir die deutsche, vor allem akademische Kindermisere mit Finanzspritze und Lifestyle Allüren?  Tja, ich wohne nicht am Prenzlberg und Livestyle oder urbane Denke spielen sich in meinem Kopf ab… Ich kann da gar nicht mit und will auch nicht. Glücklicherweise interessiert mich auch nicht, wie das Kinderkrieg-Motivationsprogramm denn nun so aussieht.  Und während die bourgeois-urbanen Nido-Eltern von heute, sollte es sie vielleicht geben, den Waldspaziergang als nostalgisch-romantisches Event im Fotoalbum festhalten (”Wisst Ihr noch, damals vor unserer Weltreise…?” oder “Schau mal, wir haben den optimalen Ausgleich zum urbanen Lifestyle!”), haben wir die Natur gleich vor der Haustür und alles nur kein Problem mit einer “Angst vor Verlust” von…. ja, von was eigentlich?

Bei mir vermischen Familie, Kinder und Job. Ich bin selbstständig und wir wissen, dass man genau das auch tut: ständig irgendwie arbeiten, ständig zumindest irgendwie nachdenken. Ich arbeite, während ich dem Linus ein Brot schmiere, ich arbeite, während ich den Hund über die Wiesen hetze, ich arbeite, während ich mit den Kindern vor der Glotze sitze. Und mein Arbeitsplatz ist kein verglast-verchromtes Hightec Büro, das den Einzug ins Architekten-Pendant zur Nido schaffen würde, sondern ein ganz normaler Schreibtisch. Das ist manchmal etwas anstrengend, wenn Linus nicht recht sehen will, dass ich arbeite (weil ich eben da bin und nicht in meinem gedachten Superbüro sitze) oder Cornelius an mir rumnörgelt, weil ich gerade wieder so gestresst bin und schlechte Laune habe.

Nein, von einem Boykott kann keine Rede sein, glaube ich. Kein Mensch hat etwas davon, wenn die Mütter von heute dem Kinderkriegen abschwören und die boykottierenden Mütter würden vor allem in keinster Weise durch besonderen Aktionismus auffallen. Oder fällt es überhaupt auf, wenn man heutzutage nicht mit der Nido in der Tasche durch die Stadt flaniert?

Leider fällt es ebenso wenig auf, wenn man diesen gesellschaftlichen Missständen trotzt und versucht, trotzdem noch was draus zu machen. Die Kinder fallen vielleicht auf. Dass man nebenher den Spagat macht, das fällt nicht auf. Es ist noch nicht mal interessant.  Weder für die Ursulas, noch für die Nido Leser, die wahrscheinlich noch damit beschäftigt sind, an ihrem urbanen Denken zu kleben. Aber klar, ich versteh schon, was ist daran auch reizvoll, Steuererleichterungen einzuführen, flexible Kindergartenöffnungszeiten oder ein so richtig erhöhtes Kindergeld und nicht eines, mit dem ich gerade mal den Kindergartenbeitrag zahlen kann?

Vor einigen Wochen sagte Linus, kurz über den Rand meines Laptops blickend, während ich wahrscheinlich mal wieder fluchte, mit eindringlichem, fast beängstigend erwachsenen Gesichtsausdruck zu mir: “Weißt du, Mama, manchmal stellst du dir eben selbst ein Bein!”. Und liefert mir damit nicht nur einen guten Grund, genauso weiter zu machen sondern verschafft mir damit Glücksmomente, die kaum zu toppen sind.

Ich versteh es nicht, liebe potenziellen Mütter…

 

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