Zahlen im luftleeren Raum

Nur kurz möchte ich aus gegebenem Anlass nochmal das Thema Statistik aufgreifen und die Frage, was uns die Zahlen eigentlich sagen, die da so ohne jeglichen Bezugspunkt im Raum steht.

Gestern habe ich im Fernsehen einen über Impfschäden bei FSME Impfungen gesehen. Und mich maßlos geärgert. Es geht mir weniger um den Sinn oder Unsinn oder um eine qualitative Bewertung dieser Sendung. Es geht um eine Zahl und vielleicht auch um Journalismus und einiges andere.

Gezeigt wurde der tragische Fall eines kleinen Mädchens, dessen Eltern vermuten, eine FSME Impfung habe zur Behinderung der damals Vierjährigen geführt.

Die Sache ist eine Tragödie. Keine Frage. Ich habe selbst Kinder, ich würde selbst Erklärungen suchen. Mich würde die Verzweiflung packen. Als Eltern nehmen einen solche Berichte mit. Auch wenn die Sendung keine ärztliche Aussage hinsichtlich eines konkreten Zusammenhangs in diesem Fall brachte, so ist ein Zusammenhang durchaus zu vermuten.

Das weiterhin Schlimme am Beitrag war jedoch eine Zahl. 350. 350 gemeldete Fälle von Nebenwirkungen und Zwischenfällen nach FSME Impfungen- von leicht bis schwer. Das klingt viel. Nur: 350 von wie vielen insgesamt vorgenommenen Impfungen? 350 von 500? 350 von 5000? 350 von 50.000? Oder 350 von 500.000? Im Jahr. Das macht einen erheblichen Unterschied. Und wie viel Prozent davon sind wirklich als ernst und bedrohlich einzustufen (in Risikoabwägung zur Erkrankung)?

Ohne die Kenntnis der Grundgesamtheit kann ich nicht beurteilen, was 350 bedeutet. Ich kann mein persönliches Risiko nicht einschätzen.

Der dort genannte, ziemlich daneben geratene und wenig differenzierte Werbeslogan “Lass Dich impfen, dann können die Zecken ruhig kommen.” ist die eine Seite. Die zum Teil sicher auch kritisch zu betrachtenden Werbemaßnahmen der Pharmaindustrie auch (das wäre ein eigenes Weblog wert…) Die ebenso wenig differenzierte Berichterstattung zu Impfschäden ist allerdings das andere. Denn ist zu vermuten, dass allein die Zahl 350, ungeachtet auch dessen, dass hier Komplikationen aller Qualität in einen Topf geworfen werden, schon den ein oder anderen Impfgegner, der sowieso schon unbelehrbar auf solcherlei Berichterstattung nur gewartet hat, auf den Plan ruft.

Ich als kategorische Impfbefürworterin sehe das mit Wut im Bauch (meine Kinder sind übrigens FSME geimpft, ich auch). Insbesondere aber als jemand, der sich gerne eingehend informiert und gerne bescheid weiß, macht es mich wütend. Nur “350″ ermöglicht mir keine Risikoeinschätzung und keine Beurteilung dessen, ob meine Entscheidung gut oder schlecht gewesen sein mag. Es macht zum Instrument aller Lobbyisten. Wollt Ihr mich für dumm verkaufen? Das einzige, das mir der Beitrag sagt, habe ich eigentlich vorher auch schon gewusst.

Ohne mich aber nun weiter über Impfungen auszulassen, denn das ist nicht Thema dieses Blogs: Es ist wichtig, dass wir ein statistisches Bewusstsein entwickeln und Zahlen nicht unkritisch hinnehmen sondern hinterfragen. Dass wir sie in Relation setzen und einzuschätzen lernen. Es ist die Basis dafür, dass wir Risiken einschätzen lernen und richtige Entscheidungen treffen können. Anderenfalls können Zahlen als manipulatives Instrument eingesetzt werden.

 

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