Open Source und die Imageproblematik

Der Artikel auf Joomla Aktuell trifft meine Überlegungen der letzten Tage vielleicht nicht ganz, passt aber tendenziell ganz gut in die Thematik: wie steht es eigentlich um die Open Source, um die Erwartungen von Usern, aber auch von Agenturen und Entwicklern?

Es ist die Frage, ob einige CMS mehr wert sind als andere, ob sie ein Imageproblem haben - sowohl in den Köpfen der Nutzer als auch im Geldbeutel des Entwicklers. Und es stellt mich vor die Frage, in wie weit die Selbstdarstellung eines Entwicklerteams dazu beiträgt, ein Image aufzubauen, das sich in den Köpfen als von “total umsonst und billig” bis hin zur “Enterpriselösung” in allen Nuancen manifestiert.

Was Open Source ist und was nicht

Wollen wir es also noch einmal zusammenfassen, was Open Source ist und was es nicht ist.

Open Source bietet die Möglichkeit zu flexiblen, skalierbaren und damit sehr individuellen Softwarelösungen, während man dank einer großen Entwicklergemeinde oft auf einen umfangreichen Pool an Erweiterungen unterschiedlicher Qualität und Leistungsfähigkeit einerseits und einen fundierten Support beispielsweise in Form von Foren oder Blog andererseits zurückgreifen kann. Open Source bedeutet Community und lebt vom Miteinander.

Open Source bedeutet auch häufig “umsonst”, da viele (nicht alle!) Produkte ohne Lizenzkosten zur Verfügung gestellt werden. Details zu Fragen der Lizensierung beantworten verschiedene Lizensierungsmodelle. Hier liegt ein Knackpunkt: die fälschlicherweise vorherrschende Synonymisierung von “open” und “free”.

Der weitere Knackpunkt liegt in der individuellen Anpassung und dem Verständnis von “Flexibilität”. Open Source ist ja zunächst mal genau was es sagt: ein offener Quelltext im Gegensatz zur Black Box proprietärer Software und idealerweise die Nutzung internationaler Standards.  Individualisierung und Anpassung jedoch kosten Zeit und Zeit kostet Geld und damit ist Open Source alles andere als “umsonst” - außer eventuell in der Anschaffung.

Es ist kein Geheimnis, dass die Entscheidung pro Open Source durchaus auch eine Kosten/Nutzenrechnung ist und gerade Open Source Lösungen durchaus ins Geld gehen können, die dann eben in Entwicklungskosten fließen. Wer sich für Open Source entscheidet, weil er der Fehleinschätzung “umsonst und günstig” unterliegt, der begeht einen Fehler. Mehr noch hat er die Chance des Prinzips Open Source nicht erkannt.

Interessant sind diese Überlegungen vor allem im Bereich Content Management und Shop. Käme beispielsweise einer auf die Idee, die Umstellung auf Linux, inklusive eines kompletten, unternehmensweiten Netzwerks gäbe es “total billig” nur weil Linux Open Source Software ist?

Es ist ein Trauerspiel, wenn beispielsweise von Kundenseite die Entscheidung gegen xt:commerce fällt, nachdem bekannt wird, dass ein Shop plus gekauftem(!) Template plus einiger wichtiger Erweiterungen ein paar hundert Euro kosten wird, trotzdem die alternative Rechnung deutlich anders ausfällt. Hofft man da, entgegen jeglicher vertraglichen Vereinbarungen, unterwegs doch noch auf die Umsonst und Total-Support Variante? Hat doch der Spezl von nebenan im Forum für die XY Software sogar das Basistutorial zu HTML und CSS inklusive bekommen und damit seine Feuerwehrwebsite mit den 10 interaktiven, wild blinkenden, flashig aufgemotzten Gimmicks erfolgreich ins Web manöviert…

Schon seltsam, dass hier plötzlich der Profi ankommt, der erklärt, durchaus Rechnungen für seine Dienstleistungen stellen zu wollen, oder?

Der total umsonst Support - für alle?

Ich komme auf Joomla, weil mir jener oben verlinkte Artikel so aus der Seele spricht und mich an “gute alte Zeiten” erinnert, aber auch an die, die mich aufgefressen haben: Forensupport für User (ich schreibe hier nur ungern Community, denn der, der immer nur fragt und nie gibt, gehört da für mich nicht dazu!), die einen nicht mehr loslassen, einen mit Personal Messages traktieren und nicht mal davon zurückschrecken, einen am Wochenende anzurufen (in diesem Fall war das tatsächlich ein “Kollege” (auch das nur in Anführungsstrichen), am Sonntag abend).

Nein, ich will nicht wieder meine Argumente aufwärmen, nicht wieder erklären, was meines Erachtens schief gelaufen ist. Ich stelle nur fest: dieser Effekt “wir helfen uns alle gegenseitig”, implizierend, dass es hier eine Menge Schmarotzertum (sic!) gibt, während andere nicht mehr wissen, wie sie sich aus den Fängen der “ach seid Ihr hier alle nett”-Partizipanten und der “jetzt hilft mir hier gefälligst mal jemand weiter”-Motzer befreien sollen, ist in der deutschen Joomla Community schon besonders verbreitet und scheint auf Entscheider übergegriffen zu haben.

Die Anfragen, die ich teilweise bekommen habe, wenn es um Joomla ging, waren schon bezeichnend: man wolle da ein weltweites Portal, mehrsprachig internationalisiert, zur CI müsse es auch passen, man brauche dann noch diese und jene Erweiterung, ja, dass die 49 Dollar kostet, das müsse man eben verschmerzen. Aber sicherlich hätte ich als die Templatedesignerin und Joomla-Installateurin (ein weiterer Punkt, es ist erstaunlich, auf was sich Webdesign reduzieren lässt!, auf dem Papier versteht sich, in der Praxis macht man dann eben doch jeden Handgriff und denkt jeden Gedanken mit…) absolutes  Verständnis, dass durch diesen Faktor das Budget auf maximal 500 Euro beschränkt sei. Immerhin bedeute dies einen nicht zu unterschätzenden Reputationsfaktor.

Ein Einzelfall? Mitnichten!

Die Imagefrage

Ich teile Markus Rouenhoffs Ansicht nur teilweise. Spenden sind sicherlich ein richtiger Weg, in irgendeiner Form ein Projekt am Leben zu halten und die Motivation der Helfer und Macher zu steigern, nicht jeder muss schließlich der Coder sein, der tolle Erweiterungen schreibt oder didaktisch durchdachte Tutorials veröffentlicht. Hey, und es macht Spaß, man fühlt sich richtig gut als “Supporter”, habe ich kürzlich festgestellt, als ich beim Blick auf mein lustiges Entchen im Dock spontan auf den “jetzt spenden” Button im Cyberduck geklickt habe, um wenigstens einen kleinen Beitrag zu leisten.

Was aber vor allem nötig ist, um diesen Mitmachgedanken überhaupt ankommen zu lassen,  sind eine klare Botschaft des Prinzips Open Source sowie eine dementsprechend professionelle und klare Darstellung des Open Source Software Projekts, - mit einem Ziel: der Schaffung eines Image (oder der Verhinderung eines Imageverlusts sowohl des Prinzips Open Source als auch der Software).

Meines Erachtens sind genau dies nämlich die Killerfaktoren, die ein CMS in den Köpfen von Agenturen und Entscheidern zur “total umsonst” Lösung werden lassen.

Kürzlich kommentierte hier jemand zu einem meiner Joomla Artikel, Joomla habe schließlich eine ganz andere Zielgruppe als TYPOlight. Ich sehe das nichtmal so, denn mit beidem lassen sich hervorragend gelungene Websites erstellen (mit mehr oder weniger viel Aufwand) und Einarbeitungszeit erfordern beide. Nur haftet dem Joomla inzwischen leider auch das Image des Vereins-CMS an und damit vielleicht auch die Einschätzung, man habe es hier mit vollkommen anderen Zielgruppen zu tun. Anderen CM Systemen mag es ähnlich gehen, wieder andere haben dieses Problem nicht.

Und vor einiger Zeit hatte ich Kontakt zu einer Agentur, die ich wiederholt fragte, warum sie denn unbedingt auf Joomla setzen wollten. Ich bekam keine wirklich befriedigende Antwort. Eines war klar: es ging hier nicht um ein solides Framework (das Joomla ohne Frage ist) sondern um einen Riesenpool an Addons und eine bundesweit recht gut funktionierende Supportmaschine… Eine falsche Entscheidung für ein CMS, das je nach Szenario durchaus eine richtige Entscheidung sein kann.

Verantwortung

Es liegt in der Verantwortung der Macher von Open Source Software, ihr Produkt so darzustellen wie auch ihre Community so zu lenken, dass Open Source als wertvolles Grundprinzip und Chance in der Softwareentwicklung keinen Schaden erleidet. Es liegt in der Verantwortung der aktiven Community, klar zu machen, wie dieses Miteinander funktionieren kann und wie nicht. Dies bedeutet eine professionelle Außendarstellung, eine klare Kommunikation und klare Regeln.

Nur so kann verhindert werden, dass nicht nur das Produkt einen Imageschaden erleidet und die Community alle Hände voll zu tun hat, sich mit Händen und Füßen gegen Fehleinschätzungen und übermäßige Forderungen zu wehren, sondern auch Open Source in den Köpfen der Laien und Entscheider als das begriffen werden kann, was es ist: eine echte Alternative.

Der Joomla Day übrigens ist da ein Schritt in die richtige Richtung! Robert und Thomas machen das genau richtig, ich freu mich drauf!

 

4 Antworten zum Beitrag “Open Source und die Imageproblematik”

  1. am 18 Jul 09 um 11:24 meint

    Hallo Anne-Kathrin,

    sehr gut geschriebener Artikel. Die Problematik lag mir schon sehr lange quer im Magen. Als ich dann den Artikel bei Frank Bültge gesehen hatte, merkte ich immer mehr: Dies ist nicht nur ein Joomla Problem.

    Und man merkt ja an den Reaktion, das es nicht nur mir quer im Magen lag.

    Nur um der Problematik “Herr zu werden”, bedarf es mehr als “Aufklärung”. Das “kostenlos” steckt schon zu weit in den Köpfen.

    Evtl. sollte auf den Landesseiten und den bekannten News-Seiten ein “Konzept” Entwickelt werden, wie man dies den Nutzern näher bringen könnte.
    Bin da sehr offen für Vorschläge…

    gruß Markus

  2. am 18 Jul 09 um 21:31 meint

    Anne-Kathrin

    Es muss von den Machern kommen. Eine durchgängige Message.
    Und ich habe eine andere Theorie, nämlich dass die Botschaft Open Source natürlich durchaus angekommen ist - nämlich bei denen, die sich mit dem Thema Software, Web, Internetauftritt etc wirklich auseinandergesetzt haben.
    D.h. Fehleinschätzung hat hier was mit Kompetenz zu tun.
    Und damit wird das Problem wieder “globaler”.
    Das wäre ein eigener Artikel, über dem ich allerdings noch brüten muss…

  3. am 20 Jul 09 um 15:32 meint

    Hallo,

    über die Kommunikation vom CoreTeam mit der Aussenwelt brauchen wir wohl nicht reden. Glaube kaum das da in naher Zukunft Besserung zu erwarten ist.

    Evtl. sollte OSM mal eine Message dazu raus bringen…Aber dort scheinen auch alle Kräfte anderweitig beschäftigt…

  4. am 01 Nov 09 um 14:28 meint

    kiwi

    Heyho,

    auch ich habe seit Monate das im Artikel beschriebene Feeling. In meiner damaligen Agentur fielen die CMS-Entscheidungen auch nicht durch uns, sondern durch den Kunden.

    Viel wichtiger fand ich die Erkenntnis (eines Abends bei nem Bier mit ein paar Kollegen):
    Worauf ist unsere Firma gestützt? Debian für die Server, Apache als Webserver, Samba fürs Filesharing, qmail + courier* für Mails, PHP als Entwicklungssprache für unsere Produkte, eGroupware als Zeiterfassung, Firefox + Thunderbird für unsere Kommunikation, Pidgin + openfire für interne Kommunikation, FCK als wysiwyg-Editor für unsere Produkte, Ubuntu für unsere Entwicklungsrechner, openVPN für externe Mitarbeiter, und und und und und…

    Danach haben wir als Firma entschlossen, eine Spendenlösung zu entwickeln, welche wie folgt aussah:
    - jeder Mitarbeiter kann Überstunden machen
    - Wenn er möchte, kann er diese als OpenSourceSpende markieren
    - Die Firma packt pro Überstunde noch eine Stunde drauf
    das Geld geht dann an ein gemeinsam ausgewähltes Projekt.

    Bei uns fiel nie die Produktentscheidung aufgrund von “das kostet nichts” sondern aus Überzeugung. Microsoft-Produkte wurden also nicht weil “kostet Geld” nicht verwendet, sondern weil sie unserer Philisophie nicht entsprachen. Und wenn wir in der OpenSource-Szene etwas für so gut befunden haben, haben wir es auch gekauft (sofern möglich) oder mit Spenden unterstützt. Immerhin verdienen wir richtige Kohle damit, z.B. ne Bildergallerie mit nem Open-Source-Flash zu bauen!

    Das ganze war nur Möglich, da ich es angesprochen und umgesetzt habe. Ich denke, so manch anderen Firmen fehlt es nicht an der “Lust Geld auszugeben”, sondern sie wissen einfach nicht, wie wichtig es sein kann.

    Wo würden wir ohne OpenSource heute stehen? Das ist die Frage, die man sich stellen sollte. Denn “umsonst” heißt ja nicht, dass es für einen selber einen nicht unerheblichen Wert hat - drum ist das, denke ich, die Frage schlechthin, um jemanden zu mobilisieren, das ganze mal objektiv zu betrachten und zu erkennen, welchen Wert man durch OS erhält. Ist der Groschen einmal gefallen, sind die Leute durchaus bereit in die Tasche zu greifen, ODER, sich an der Community zu beteiligen.

    LG
    kiwi :)

Auch was dazu sagen?