Das LMS als Konzept: abseits des Internets?

Immer mehr wird mir klar, was mich am Lernmanagementsystem (LMS) stört: das Konzept ist meiner Meinung nach out. Wir nutzen ein webbasiertes Tool, das das Internet verpennt und einen ganz wesentlichen Aspekt unberücksichtigt lässt: den User hinter dem Lernenden.
Da mögen wir uns noch so sehr überlegen, wie man Angebote verbessert und ausbaut, Dozenten schult und Lernende motiviert.  Das Internet belehrt uns eines anderen.  

Laut gedacht

Ich denke mal laut und vielleicht auch ein bisschen provokant überzogen. Welche Eigenschaften hat ein LMS hinter der Kulisse?

LMS folgen einem klassischen Producer-Consumer Prinzip.

Die letztendliche Verantwortung und Kontrolle über Inhalte und Lern-Möglichkeiten liegt im Wesentlichen beim Dozenten, nicht bei den Lernenden, also den Usern.

Die vielgepriesenen “kollaborativen Werkzeuge” sind zwar da, aber nicht so übergreifend verfügbar, dass sie ohne Kontrolle des Dozenten genutzt werden könnten.

Art und Grad der Interaktion werden durch den Dozenten vorgegeben und damit auch limitiert.

Die Möglichkeit zur Interaktion und Selbstorganisation sind durch die technischen Möglichkeiten des Systems begrenzt.

Lernmanagementsysteme sind in sich geschlossen und unterliegen damit unnatürlichen Grenzen.

Die persönlichen Anpassungsmöglichkeiten durch den Lernenden sind gering.

Was bedeutet das?

Das (wie ich es nenne) “klassische Producer-Consumer Prinzip” widerspricht eindeutig dem User Generated Content, einem ja durchaus erfolgreichen Konzept, der das Web so lebendig und wertvoll macht.

Die letztendliche inhaltliche und interaktive Kontrolle durch den Dozenten widerspricht gänzlich dem Community Gedanken.

Das Web ist voller guter Werkzeuge, derer man sich bedienen kann, um Information und Wissen zu organisieren und mit Menschen zu kommunizieren. Eine Limitierung durch ein LMS (beispielsweise durch Restriktion durch Dozenten aber auch mangels Schnittstellen) schränkt Lernende ein, diese Tools aktiv zu nutzen, Lernen selbst zu organisieren. Lebenslanges Lernen? Erfolgreich begrenzt und womöglich auch zeitlich limitiert durch ein restriktives LMS.

Was nützlich und relevant ist, bestimmt durch das Producer-Consumer Modell einzig der Produzent, in diesem Fall der Dozent. Eigene Lernziele müssen eventuell außerhalb des LMS erreicht werden und können je nach Architektur des LMS und Engagement des Dozenten auch nur außerhalb des LMS organisiert werden.

Der Grad der Interaktivität ist eingeschränkt, die Analyse und Befriedigung der Bedürfnisse der User (= Lernende) obliegen allein einem Dozenten, der (was in der Natur der Sache liegt) meist keinerlei Erfahrungen hinsichtlich User Experience Design hat.

Das LMS versteht sich demnach zu sehr als didaktisches Werkzeug im Web, ohne sich dabei am Web und vor allem am User zu orientieren. Bei ganz realistischer und praxisorientierten Betrachtung lässt sich daran wenig ändern und es verwundert daher auch kaum, dass das LMS an der ein oder anderen Stelle im Sinne einer erweiterten Festplatte oder einer Alternative zum Netzlaufwerk zur überdimensionierten Folien und Dokumentensammlung verkommt.

Lehren im Netz hat viel von “Vorleben” und “gemeinsamem Erleben” (auch wenn die Begrifflichkeiten etwas betütterlich gewählt sein mögen). Die Zukunft liegt daher in Learning Communities und Persönlichen Lernumgebungen. Vor allem aber auch einer Öffnung und der Verinnerlichung des Prinzips “Sharing”.  Sicher aber nicht in einem instruktionell gesteuerten, in sich geschlossenen Lernmanagement System, mit dem

  • der eine Typ Dozent überfordert sein mag, weil ihm die Tools und Konzepte unbekannt und ungewohnt sind,
  • während der andere Typ Dozent längst erkannt hat, dass es bessere, flexiblere und offenere Tools gibt, mit denen sich langfristiges, gemeinsames Lernen organisieren und in persönliche Internet-Aktivitäten integrieren lässt.

Fazit?

Und so mein Fazit aus User Sicht:
Das Lernmanagementsystem ist per se nicht geeignet, den beiden großen Usergruppen (Producer und Consumer) gerecht zu werden, legt aber die Verantwortung für Inhalte und Kontext in die Hände der einen User Gruppe. Das kann auf Dauer nicht gut gehen… Potenzial für das Lernen im Netz bietet diese Sichtweise nämlich langfristig nicht.

Sehe ich das zu eingeschränkt? Vielleicht auch zu desillusioniert?
Ich musste das einfach mal loswerden, während ich nicht aufgebe, daran zu glauben, dass doch alles gut ist oder gut wird.

 

5 Antworten zum Beitrag “Das LMS als Konzept: abseits des Internets?”

  1. am 08 Jan 12 um 12:34 meint

    [...] jQuery(”#errors*”).hide(); window.location= data.themeInternalUrl; } }); } http://www.medamind.de - Today, 12:34 [...]

  2. am 08 Jan 12 um 15:23 meint

    Argumente gegen LMS lese ich in letzter Zeit häufiger. Aus meiner Sicht wird dabei manchmal von einem idealisierten Lerner ausgegangen, der die Möglichkeiten des Web 2.0 virtuos nutzt und deshalb kein LMS braucht. Diesem Lerner bin ich in meiner Praxis bisher selten, eigentlich nie, begegnet. Insofern stellen LMS für mich zur Zeit (noch) ein willkommenes Werkzeug dar, um Lern- und Lehrprozesse zu organisieren. In ein paar Jahren sieht das ja vielleicht schon wieder ganz anders aus.

  3. am 08 Jan 12 um 16:50 meint

    Eine absolut erfrischende Sichtweise auf LMSysteme!
    Es entspricht dem Widerspruch in der Arbeit von LehrerInnen, die SchülerInnen zu ‘Intrinsischer Motivation’ (http://de.wikipedia.org/wiki/Motivation#Quellen_der_intrinsischen_und_extrinsischen_Motivation) zu bewegen. Das heißt nämlich überspitzt, dass man häufig SchülerInnen zu einer eigenen Motivation drängt: “Du sollst aus eigener Motivation etwas tun, wenn ich Dir das sage…”
    Allerdings empfinde ich es als realitätsfremd, sich von Vorgaben oder dem Input als LehrerIn an die SchülerInnen zu verabschieden, da stimmt die Producer-Consumer-Sichtweise einfach nicht. Die Anregung durch die Lehrpersönlichkeit und das Arrangement einer Lernumgebung (Praktisch: Unterricht) kann vor allem in der Primar- und Sekundarstufe nicht wegfallen.
    Aber ein gutes Lernarrangement bzw. LMS schafft und ist demnach eine Struktur, die Interaktivität, Kollaboration und Präsentationsmöglichkeiten fördert. Womit auch eine Bewertungsmöglichkeit für LMS gegeben ist.

    Und inhaltliche Fragen kann man nach wie vor mit dem ollen Klafki bewerten: Exemplarische Bedeutung, Gegenwartsbezug, Zukunftsbedeutung (http://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Klafki#F.C3.BCnf_didaktische_Grundfragen_.28Didaktische_Analyse.29)

  4. am 08 Jan 12 um 16:57 meint

    [ERGÄNZUNG: Vielleicht hängt die Webloggerin diese Anmerkung noch an meinen ersten Kommentar]

    Wenn man das Moodle als Bild für ein LMS vor Augen hat, ist es fast verständlich, dass man hochkritisch an das Thema geht (neudeutsch in etwas: Das törnt ziemlich ab). Aber ein Blick auf neue Entwicklungen macht erheblich mehr Spaß: Zum Beispiel Commsy (http://www.commsy.net/)!

  5. am 08 Jan 12 um 18:28 meint

    Anne-Kathrin

    Vielen Dank für die umfassenden Kommentare.
    Vielleicht kurz als Erläuterung:
    Es ist die (vielleicht etwas provokante) Sichtweise einer Informationswissenschaftlerin und ich habe hier allein den Einsatz eines LMS in der Hochschullehre vor Augen.
    Und es ist die überzogene (und vielleicht auch ungewöhnliche) Sichtweise von jemandem, der die vergangenen Jahre ausschließlich im und mit dem Netz gelernt hat ;-)
    Sicher bin ich mir darin, dass sich allein durch die *Nutzer* etwas verändern wird.
    Wir bilden schon jetzt in den Schulen eine Generation von Lernenden aus, die zu den “native usern” des Internets gehören. Das wird neue Anforderungen an E-Learning Systeme stellen.

Auch was dazu sagen?