Zwischen den Zeilen lesen und eine These

Mal zu einem “Tabuthema”, wir mir scheint, denn darüber spricht man nicht gerne. Sind wir aber einfach mal ganz ehrlich:
Wer kennt das nicht? Ein Projekt wird vermeintlich zur Neverending Story. Das Design ist fertig, die Seite steht, sie muss nur noch mit Leben, sprich Inhalt gefüllt werden, doch immer wieder kommt es zu neuen Wünschen, neuen Anforderungen und Problemen. Was könnte passiert sein und wie macht man weiter? Ein Denkmodell, eine vielleicht gewagte These zur Symptomatik und mein Plädoyer für den kleinen Cut. Achtung: hier geht es nicht ums Budget und das liebe Geld, hier geht es darum, ein Projekt zu aller Zufriedenheit zu Ende zu bringen. Ein bisschen was zum Nachdenken.

Webdesign als “ganzheitlicher Prozess” hatten wir kürzlich und genau das ist es auch. Ich lege den Schwerpunkt auf Inhalt und Informationsarchitektur, völlig unabhängig zunächst vom großen Themenkomplex Suchmaschinenoptimierung. Der ganzheitliche Prozess hat in der Praxis durchaus seine Knackpunkte.

Eine denkbare Ausgangslage

Ein denkbares und durchaus realitätsnahes Szenario wäre folgendes:

Im Prinzip sind eigentlich alle glücklich: das Design steht, das auch noch in allen Browsern, man hat ein schönes Layout kreiiert, die Seitenstruktur steht soweit so gut, der Anwender (im Folgenden immer so genannt, Kunde wäre ebenso denkbar) wurde eingewiesen, kommt mit “seinem” Content Management System gut klar und nun kann es losgehen.

Es gibt zwei Szenarien, die ich hier so vor Augen habe:

  • Relaunch einer bestehenden Website mit Übernahme eines Großteils der Inhalte
  • ein komplett neues, inhaltlich umfangreiches Projekt

Der Anwender schreibt nun fleißig an seinen Inhalten. Es ergeben sich dabei trotz Maßnahmen des Webdesigners klassische Probleme wie Semantik, Artikelgliederung und das Spiel mit den Möglichkeiten des Online Editors. Diese sind aber in (eventuell mühevoller) Kleinarbeit in den Griff zu kriegen - alles kein Problem.

Doch plötzlich passiert Folgendes: ob man da nicht die Schrift etwas größer/kleiner machen könne, der Abstand stimme auch noch nicht so ganz, man müsse das noch besser strukturieren. Man würde hier doch noch gerne eine weitere Navigationsebene einführen, die Liste hier und dann dort sei übrigens auch irgendwie unübersichtlich. Bei näherem Hinschauen stellt man dann fest, dass sich inzwischen eine zum Teil redundante Verlinkung zwischen den Inhalten eingeschlichen hat und eine Menge, eine richtige Menge Text. Die Website, die man irgendwann vor Tagen und Wochen mit einer Demoseitenstruktur und Dummyinhalten zunächst zur weiteren Befüllung an den Anwender übergeben hat, wirkt inzwischen unübersichtlich und aufgebläht.

Wo liegt das Problem? Wir waren doch alle glücklich.

Nein, ich glaube, das bis dahin niemand etwas falsch gemacht hat, dass auch niemand unzufrieden war. Wir können sogar davon ausgehen, dass alle Absprachen während des Projekts termingerecht abliefen, dass die Layoutvorschläge recht schnell gefielen und alles zügig umgesetzt werden konnte.

Meine Theorie ist: an dieser Stelle wurde schlicht etwas vergessen. Von beiden Seiten, unausgesprochen im Einvernehmen. Nach hinten verschoben unter dem Aspekt, das würde sich dann schon klären.
Die Konzeption der (neuen) Seitenstruktur wurde nämlich nur angerissen. Dafür sind einige Gründe denkbar. Ein sicherlich häufiger Grund ist, dass Inhalte noch nicht fertig waren. Zeitmangel- wir kennen das alle. Das werde dann schon noch, da müsse man dann sehen. Ganz ehrlich: mir ginge es ganz genauso, denn während ich für andere plane, bin ich zum Teil selbst ganz anders und weniger strukturiert.

Wer anfängt, (womöglich unter Zeitdruck) so vor sich hinzuschreiben oder beim Relaunch nicht kritisch ausmistet, läuft Gefahr vom Hundertsten ins Tausendste zu kommen. Da findet sich hier noch ein interessanter Aspekt und da möchte man noch gerne verlinken und so weiter und so fort. Schon wird aus kurzen, knackigen Texten eine Wissenschaft und was darunter leidet, sind vor allem:

  • die klare Linie
  • die Übersichtlichkeit

Um meine These weiterzuführen: viele der zusätzlichen Anforderungen ergeben sich aus dem Versuch, ohne Abspecken der Inhalte eine klare Linie zu finden, durchzuziehen und Übersichtlichkeit zu schaffen. Dann meist in einer Menge an Inhalten, bei denen man selbst bereits Gefahr läuft, den Überblick zu verlieren. Viele zusätzliche Anforderungen stehen synonym für andere, vielleicht generellere Fragen. Overflow!?

Nein, das alles hat nichts mit Fehlkonzeption zu tun, auch nicht mit mangelndem intelligenten Vorgehen auf der einen oder der anderen Seite. Ich halte das für rein menschlich.

Die perfekte Lösung wäre gewesen

So richtig optimal wäre es selbstverständlich gewesen, das alles im Vorfeld abzuarbeiten. Klar, ganz logisch. Das würde einem auch jedes Projektmanagementbuch mitgeben. Nur sieht es in der Praxis, aus verschiedenen Faktoren eben oft anders aus. Beim nächsten Mal sind auch sicher alle schlauer, haben aus Fehlern gelernt, nur jetzt geht es darum, das Kind, das schon fast in den Brunnen gefallen ist, herauszuziehen, bevor das ganze Projekt wirklich zur Neverending Story wird und das passiert, was keiner will: jemand wird nachhaltig unglücklich.

Aus dem “Sumpf”…

Auf Basis meiner These:

Es bringt in diesem Fall nur zum Teil etwas, die ganzen Anforderungen, die sich da so ergeben, der Reihe nach brav abzuarbeiten, denn das bekämpft nur das Symptom, nicht aber die Wurzel des ganzen Problems. Was hier durchaus überlegenswert ist: der Cut. Der sollte nicht dem Ziel dienen, nocheinmal alles grundsätzlich in Frage zu stellen und von vorne anzufangen sondern das Projekt zielgerichtet fertig zu stellen und er besteht, -sehr pragmatisch- nur aus wenigen Schritten:

  • Analyse möglicher Probleme
  • Abhilfe
  • Umsetzung

Schlimm wird es, wenn plötzlich aufgrund neuerlicher Anforderungen ganze Basiselemente in Frage gestellt werden müssen…. Da hilft meines Erachtens nur die sanfte Notbremse. Schließlich soll es nicht sofort ein Redesign des Redesigns geben. Nur so auf die Schnelle fällt mir da, ohne Anspruch jeglicher Vollständigkeit ein, was es technisch zu tun geben könnte - ja ich weiß, eigentlich alles eine Angelegenheit der Designphase, aber…

Was Schrift und Darstellung betrifft, könnten beispielsweise (weitere?) Eyecatcher eingebaut werden, um die wirklich wichtigen Informationen zu highlighten statt mit vielen Absätzen und verschiedenen Schriftgrößen und Abständen zu experimentieren.

Navigationsstrukturen können zusätzlich unterstützt werden, indem eine Umstellung der Seitenstruktur zu neuen Untermenüs führt. Überdenkenswert ist da beispielsweise eine Herauslösung einzelner Submenüs aus einem eventuell bereits zu tief verschachtelten Menübaum. Persönlich bin ich kein sonderlich großer Fan des Breadcrumbs, aber auch das hilft oft und ist relativ schnell implementiert.

Wichtig empfinde ich eine gewisse Allgemeingültigkeit. Dazu können bestehende oder gewünschte Inhalte zueinander in Relation gestellt werden. Man kann dann im nächsten Schritt allgemeine Regeln für die Navigation zwischen diesen Inhalten definieren. Es ist die Stärke eines Content Management Systems, dass man genau in diesen Prozessen unterstützt wird. Es ist allerdings auch die Gefahr eines Content Management Systems, im Wald der Möglichkeiten den Blick auf die Bäume zu verlieren.

Und dann passiert im Dialog eventuell auch noch etwas anderes: es könnten sich Inhalte als hinfällig erweisen.

Es ist immer eine ganz persönliche Präferenz, wie man solche Aufgaben angeht, Helferlein gibt es dafür viele, ob man die braucht, hängt vom Projekt ab. Kürzlich hatte Björn Seibert ein vorgestellt.

Fazit, subjektiv.

Gut, das alles ist nur eine These und sicher nicht das Problem jeden Projekts, dessen Anforderungen nicht aufhören wollen. Es gibt viele weitere denkbare Gründe. Das Thema ist nicht unproblematisch, denn es schwingen gerne ein paar Fragen mit, die auf beiden Seiten zu Unzufriedenheit führen könnten. Und natürlich sollte man sich auf Entwicklerseite auch an der eigenen Nase packen und hinterfragen, ob es nicht besser gewesen wäre, an der ein oder anderen Stelle mehr zu führen. Es gibt aber Projekte, da geht es einfach nicht anders oder es ergibt sich eben so - ohne aktives Zutun.

Wie kann es weitergehen? Es ist doch eigentlich alles ganz einfach (theoretisch zumindest): konstruktive, pragmatische Vorschläge und gedanklich “back to the roots”. Nochmal alles rekapitulieren lassen, was man im Lauf des Projekts gelernt hat, was an Informationen zusammen gekommen ist und sanfte Integration.

Die Botschaft ist auch klar: auch wenn Fragen wie die einer gelungenen informativen Seitenarchitektur und inhaltlichen Gestaltung aus irgendwelchen Gründen nicht den nötigen Platz in der Planung erhalten können, ist trotzdem von Anfang an Weiterdenken gefragt, um die ein oder andere Klippe dann doch noch rechtzeitig zu umschiffen und rechtzeitig einen pragmatischen Ansatz fahren zu können.

Soweit dann zur Theorie… die Praxis ist vor allem eines: menschlich.

 

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