Twitter: Resumée nach ein paar Wochen
An Twitter bin ich skeptisch rangegangen. Ich wusste nicht recht, was es mir bringen würde, aber mir war klar, dass ich meine Meinung, es handle sich dabei um eine der Überflüssigkeiten des virtuellen Lebens, nicht würde halten können, ohne es selbst versucht zu haben.
Nun wird es Zeit für ein Fazit, vielleicht ein endgültiges, vielleicht auch nur ein Zwischenbericht.
Was ich mir erwartet hatte
Meine Erwartungshaltung war dann doch relativ hoch.
Ich wollte eine Antwort auf meine Frage und am liebsten eigentlich dann doch meine eingefahrene Meinung revidiert wissen. Ich bin ein Web 2.0 Kritiker der ersten Stunde und ich würde mich freuen, wenn ich endlich mal was richtig Gutes fände.
Ich wollte desweiteren gerne wissen, ob Twitter wirklich geschäftstauglich ist, wie die twitternden Möglichkeiten fürs Marketing sind und ich wollte ebenfalls herausfinden, ob der Trend des Online Marketing wirklich Richtung “social” und “communicate” geht - wenn bei 140 Zeichen denn noch von Kommunikation die Rede sein kann.
Folgen und verfolgt werden
Es dauerte nicht lange und ich fand einige Leute, die ich namentlich kenne. Die meisten, weil sie irgendwo ein Weblog betreiben. Ich habe mich sehr selektiv nur für einige wenige entschieden, denen ich folgen möchte und die Mischung wurde bunt: einiges eher beruflich angehaucht, einiges eher privat, einiges informativ. Und dann noch eine Reihe an Leuten, die mir plötzlich folgten und von denen ich dachte, die müsse ich mir dann wohl auch mal ansehen.
Ich konnte Florian Freistetters nebenbei und spaßeshalber eingeworfenen nachvollziehen, wildfremden Leuten zu folgen, erschiene ihm ein wenig wie Stalking. Andererseits denke ich mir, nur so könne ich dann auch mein “Netzwerk” erweitern. Allein Twittern ist sinnlos. Ich arbeite daran.
Suchen und Finden in der Masse
Ich hätte mir gewünscht, ich würde Menschen finden, die wirklich viel zu sagen hätten und das sind wenige (auf die Schnelle… sicher sind es de facto viele). Um das überhaupt herauszufinden, habe ich TweetDeck installiert und dort einige Tage parallel verschiedene Suchanfragen laufen lassen. Die Enttäuschung war im ganzen Zeitraum tendenziell eher groß. Interessiert es, dass jemand Sharepoint so richtig schlimm findet? Nein. Nicht wirklich. Die meisten, denen ich heute folge, müssten nicht verfolgt werden. Ich habe deren Blogs im Abo und eigentlich reicht das. Twitter ist höchstens etwas direkter und schneller. Aber ob XY gerade vor dem Fernseher sitzt oder auch seinen neuesten Blogartikel veröffentlicht hat, ist nicht wichtig. Morgen würde es auch noch reichen. Menschen ohne Blog könnte man beispielsweise auch via Skype erreichen und hätte dann den Vorteil eines noch persönlicheren, direkten Kontakts.
Follow me Ärger
Manche meiner Follower ärgern mich noch heute. Da gibt es die, die offenbar neue Vögelchen abgreifen, denen für drei Tage folgen, um Aufmerksamkeit zu erreichen und selbst verfolgt zu werden, einen aber dann ganz schnell wieder abstoßen. Ziel der Sache kann einzig und allein Selbstmarketing sein. Es gibt dann die, die auf Stichworte anspringen. Ich nenne sie mal Werbefollower. Kollegen, die mir ihre Dienstleistung verkaufen möchten. Das brauche ich nicht. Und dann verfolgt man sich, weil A B kennt und weil B auch C kennt und weil alle und außerdem D gegenseitig regelmäßig die Blogs der anderen lesen. Zwitschern zwecks des guten Tons. Man könnte dies theoretisch auch anders organisieren.
Information pur
Gute Information oder interessante Links habe ich von denen “bekommen”, von denen ich es schon geahnt hatte. Da lohnt es sich dann schon, den ein oder anderen Link zu verfolgen. TinyURL und wie sie alle heißen, ist natürlich bei 140 Zeichen ein Muss, trotzdem ärgerlich, nicht recht zu wissen, wo es einen denn nun hinverschlägt mit dem Klick auf den Link. Hier sind also kurze und knackige Zusatzinfos gefragt.
Für den Jäger und Sammler ist Twitter trotz allem ein Muss. Wissen wird hier zwar kaum ausgetauscht, es gibt meines Erachtens auch verhältnismäßig wenig Diskussion, seinen Pool an bemerkenswerten und unsinnigen Bookmarks kann man via Twitter allerdings sehr effektiv drastisch erweitern.
I feel lost in..
Die Suche auf Twitter gestaltet sich mit TweetDeck zwar soweit so gut ganz komfortabel - trotzdem fühle ich mich auch nach einigen Tagen noch “Lost in TwitterSpace”. Die Leute, die ich gesucht habe, mag es geben, aber vielleicht habe ich einfach nur einen winzigen Bruchteil davon überhaupt finden können. Es fehlen Einstiegspunkte, wie man Sie im Internet gewohnt ist. Zwar gibt es einige wirklich hübsche Visualisierungstools (den beispielsweise), aber hier muss sich wohl noch die ein oder andere Lösung etablieren. Ich bin mir da auch noch nicht ganz sicher, ob die Frage nach dem “wer kennt wen” dann die wirklich relevante ist oder es nicht doch interessanter wäre, den TwitterSpace inhaltlich miteinander vernetzt zu visualisieren. Mich zumindest interessiert primär der Inhalt und dessen Qualität. Ganz nebenbei ein Einsatzgebiet für semantische Netze wie den Hyperbolic Tree.
Insgesamt gilt: wer viel sucht, wird auch irgendwann fündig. Die Qualität der Ergebnisse variiert. Hier zeigt sich dann doch deutlich, dass manche noch am “What are you doing?” hängen, während andere bereits beim “What’s interesting?” angekommen sind - und nur das macht Twitter wirklich dauerhaft interessant.
Wer dann allerdings gute Quellen gefunden hat, kann sowohl schnell und zum Teil unkonventionell informiert als auch unterhalten werden.
Speak English please
Gerade gegen Abend wird es dann im deutschsprachigen Twitterland gelegentlich etwas flach, das Niveau geht deutlich Richtung relaxeder Feierabendstimmung.Da wäre es dann interessant, englisch zu twittern - ein wichtiges Thema.
Schnell stellt man fest, dass - wie sollte es anders sein- englisch die Twittersprache ist. Dies wahrscheinlich in unserem techniklastigen Business dann auch der Schlüssel zum Erfolg. So passierte es, dass ich beispielsweise einige Joomla oder Sharepoint Fans als “Verfolger” bekam, die aber offenbar sprachlich nicht verstanden haben, was ich eigentlich mache oder suche. Sinnlos? Vielleicht wollen auch die mir nur etwas verkaufen?
Apropos techniklastig: es sind im Twitterland dann schon viele Vögelchen der Techie Szene unterwegs, hat man den Eindruck. Es wäre die Frage, wie man sich mit ganz ungewöhnlichen Themen dort überhaupt etablieren kann. Ich kann zu dieser Frage nur Vermutungen anstellen.
Mit neuem Thema neu bei Twitter
Ich stelle mir also vor, ich bin neu bei Twitter mit einem Nischenthema. Mein gedankliches Lieblingsszenario ist hier ja die Businessunterstützung, die aber eben nicht werbegetrieben ist. Die Variante “Neu in unserem Sortiment … Sonderaktion bis kommenden Donnerstag” interessiert mich nicht. Vor einiger Zeit hatte ich schon darüber geschrieben, dass es möglich sein müsse, sympathisch über den Geschäftsalltag zu berichten und damit potenzielle Kunden zu erreichen. Das funktioniert allerdings wesentlich besser bei einem gängigen Produkt. Wenn ich sympathisch oder nicht, über meinen Geschäftsalltag berichte, verstehen meine potenziellen Kunden oft sehr wenig.
Dass ich via Twitter - nochdazu von den eher weniger techniklastigen Menschen - gefunden werde, halte ich für den eher ungewöhnlicheren Fall. Das Problem Suche. Das Problem des Rests der Welt “Twitter, was ist das?” Wer sich auf Twitter etablieren will, muss zwar auch dort laut hier schreien, aber auch an anderer Stelle auf sich aufmerksam machen, beispielsweise auf dem eigenen Blog oder der eigenen Website. Insbesondere muss er wahrscheinlich mithelfen, den Begriff Twitter noch mehr unter die Leute zu bringen. So sehr pfeifen des die Spatzen dann doch nicht von den Dächern. Die 08-15 Themen des Alltags haben ein weiteres Problem. Sie sind belegt von Klatsch-Tratsch und Alltagstwitterern.
Akquise via Twitter
Den Endkunden gibt es bei Twitter nicht. Zumindest nicht in der IT Branche. Dafür gibt es eine Menge Agenturen und die spitzen ihre Ohren gewaltig. Leider ist es hier so wie an einigen anderen Stellen auch: man bietet Billigjobs an, wenn es beispielsweise um Open Source geht. Alternativ wird auf diese Gebotsportale verlinkt. Ein Joomla Template für 150 Euro? Können gerne andere machen….
Die Akquise ist eigentlich relativ simpel. Entweder sucht mal selbst nach einschlägigen Begriffen oder lässt sich durch eben jene Keywords finden. Drei Tweets mit “Joomla” und du bist dabei! Ob man mit dem “Ergebnis” zufrieden ist, muss man selbst entscheiden. Gerade auf dem CMS Sektor gibt es meines Erachtens seriösere und gelungenere Wege. Twitter hier eher für die, die es total nötig haben. Finde ich. Etwas anders fielen da schon meine “Bemühungen” Richtung MOSS2007 aus. Eine andere Klientel, ein anderes Business.
Dass dieses Keyword Twittern natürlich auch wieder die Kollegen auf den Plan ruft, die dir das Template andrehen wollen, das du selbst coden kannst, ist ein unangenehmer, wohl aber nicht vermeidbarer Nebeneffekt, den ich aber nicht für twitterspezifisch halte.
Subkulturelles
Ein interessanter Aspekt, abseits jeglicher Geschäftstauglichkeit ist der Gedanke an eine “Subkultur”. Ich meine damit nicht jene technik-affinen Web 2.0 Geeks sondern eher eine “literarisch” neue Gattung sprachlicher Spinnereien. Nichts für mich. Da sind dann wohl eher die exaltierten, extrovertierten, ja so gar etwas exhibitionistisch veranlagten Menschen gefragt. Die, die mal schnell etwas in den Raum werfen. Neologismen oder aber dadaistisch anmutende Satzfetzen, gemischt mit Links auf die totale Sinnlosigkeit des Internets.
Interessant allemal, sich zu überlegen, was hier alles geht. TweetKunst? Für mich eine eher fremde, wenn auch spannende Welt. Mein Hang zur Selbstdarstellung geht definitiv so weit nicht. Vielleicht sind das aber ja bizarre Geschäftsmodelle, die ich heute noch nicht verstehe.
Mein Zwischenbericht
Ich werde mal dranbleiben, habe ich beschlossen. Im Moment finde ich es, wie man so schön und wenig gehaltvoll sagt “ganz lustig”. Ich erinnere mich etwas an meine ersten Tage bei OpenBC, da ja heute XING heißt. Cool fand ich das, was da abgeht. Heute finde ich es eher langweilig oder stelle anders fest, dass man sich wirklich sein Konzept zurechtlegen und vor allem dran bleiben muss.
Gleiches gilt wohl auch für Twitter: dranbleiben. Sonst bringt das alles überhaupt nichts.
Und mit dem Dranbleiben ist das so eine Sache. Wo positioniert man sicht? In der Spaßfraktion? Unter den Informativen? Bei den Denkern? Und wie viel Zeit möchte man für die Sache aufwenden?
Networking und “Social Web” sind vor allem eines: ein Zeitfaktor. Ich bin mir nicht sicher, ob es nicht sinnvoller ist, seine Zeit in reale Projekte und ganz reale Kontakte oder Freundschaften zu investieren. Ähm. Natürlich bin ich mir ziemlich sicher! Wir werden sowieso immer wortloser. 140 Zeichen wirken dem sicherlich nicht entgegen.
Twitter - für mich im Moment nichts mehr als ein neuer, potenzieller Suchtfaktor. Der echte, wirkliche Benefit fehlt (noch). Meine Fragen: zum Teil beantwortet. Richtig gut ist Twitter nicht. Potenzial hat es wahrscheinlich durchaus.
Johannes
Hallo Anne,
vielen Dank für diesen sehr ausführlichen klaren Zwischenbericht! Ich, der sich noch nicht entschließen konnte für Twitter, war darauf sehr gespannt seit Beginn deines Twitter”experiments”! Vorläufig bleib ich wohl auch weiter twitterabstinent. Der Inhalt deines vorletzten Absatzes trifft meine Überlegungen wohl am meisten. Mir scheint, dass wir heute zwischen zwei Extremen pendeln, zwischen redundantem Geschwätz und wortkarger, tendentiell immer niveauloser werdenden Sprechblasenkommunikation. Dass die Form, die Verpackung (also die 140 Zeichen) die Inhalte und die Qualität dieser dominiert, halte ich auch für ein potentielles Problem.
Herzlichst Johannes
Ich danke dir für diesen sehr umfassenden und hilfreichen Artikel.
Dass es Twitter gibt weiß ich. Wie sollte man da auch dran vorbeikommen, wo doch aktuell überall entsprechende Aufrufe, Buttons und Banner positioniert werden?
Damit befasst habe ich mich nicht, da ich den Sinn dahinter nicht erkannt habe bzw. vielleicht auch gar nicht erkennen wollte (ich bin niemand, der in Halligalli-Netzwerken à la StudiVz. und Co. abhängt).
Dein Zwischenbericht zeigt mir nun erstmal, dass ich es dabei belassen werde, diesen Hype von etwas weiter weg zu betrachten… :)
Thorsten
Ich hab’ vor einer Weile mal twitter und identi.ca probiert und stehe diesen Diensten/Kommunikationsformen aus einem Grund abweisend entgegen: sie fressen Zeit und das bei teils fragwürdigen “Ergebnissen”. Es ist sicherlich personen- und situationsabhängig, aber ich persönlich möchte mich nicht mit Microblogging verzetteln und Zeit verbrennen. Da gehe ich lieber auf real-persönliche Treffen.
Anne-Kathrin
Offenbar gibt es vorwiegend wirklich die, die es lieben und die, die es einfach sinnlos finden.
Der Zeitaspekt ist mehr als wichtig. Trifft aber nicht nur auf Twitter zu ;-)
Dummerweise muss ich schon fast sagen, hat mir ausgerechnet Twitter gestern einen tollen Sharepoint Tipp zugespielt, nach dem ich anderenfalls wahrscheinlich lange gesucht hätte.
Ich bleibe dran und berichte weiter. Ich bin kritisch, aber vielleicht ja auch zu kritisch.
Was ich übrigens glaube ist: man kann sich auch vertwittern. Twitter mir was und ich sage dir, wer du bist. Bei Twitter ist schnell mal was hingeschrieben. Mit einem Blog ist das was anderes. Das prüft man ein paar Mal, denkt nach. Veröffentlicht es dann vielleicht doch nicht oder erst nach eingehender Überarbeitung. Bei Twitter den flapsigen Ton etwas zu flapsig angesetzt oder immer gespickt mit totalen Banalitäten und schon kommt es nicht mehr gut rüber. Imageverlust? Ich finde, man darf keine Sekunde vergessen, was man sich davon erwartet und welches Ziel man verfolgt.
Passend zum Thema:
(wahrscheinlich kannte das mal wieder jeder - ausser mir…)
Anne-Kathrin
Der ist super!
Kannte ich nicht.
Komischerweise habe ich während des Schreibens gelegentlich daran gedacht, was heute alles blödsinnigerweise per SMS geregelt wird…
Passt daher wirklich prima!
Hallo,
ich bin heute auf diesen Blogeintrag gestossen:
So wie es da beschrieben ist (Slides), ist Twitter sowieso von imperialistischen Vertretern des Großkapitals durchsetzt ;-)